Kommentar

Das Impfproblem ist offenkundig größer

Denis NößlerVon Denis Nößler Veröffentlicht:

Haben unsere Parlamentarier und Minister Tomaten auf den Augen? Da legt heute, am 2. Mai, eine Bundesoberbehörde, namentlich das Robert-Koch-Institut, neue Zahlen zu den Impfquoten vor, aber offenbar guckt sie sich niemand an. Was steht drin?

97 Prozent aller Kinder erhalten die erste Masernimpfung, nur rund 93 Prozent aber auch den zweiten Piks. In dem Bericht steht aber auch: Die Masernimpfraten bei den Kleinkindern sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Immerhin.

Der Institutspräsident ordnet die Zahlen sogar noch ein: Jede zweite Masern-Erkrankung betrifft gar nicht Kinder, sondern Jugendliche und Erwachsene. Schlimmer noch sind die Quoten etwa bei Diphtherie, Pertussis oder Tetanus. Die sind im dritten Jahr in Folge gesunken.

Und was fordern unsere Politiker an diesem 2. Mai? Eine Masernimpfpflicht für Kinder! Hören die ihrem RKI-Chef nicht zu? Lesen die die Zahlen nicht?

Wenn man es nicht besser wüsste, müsste man meinen, die Forderung nach einer Masernimpfpflicht für Kinder sei ein Ablenkungsmanöver. Denn das Impfproblem ist offenkundig größer und komplexer. Eine Impfpflicht für Kinder wird es kaum lösen.

Lesen Sie dazu auch: RKI: Vielen Schulanfängern fehlt der Masern-Schutz

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 02.05.201916:40 Uhr

Herzlichen Dank, Denis Nößler, für Ihren erfrischenden Leitartikel im heutigen Ärzte Zeitung Telegramm!

In der Tat halte ich es für zwingend erforderlich, die tatsächlichen Verhältnisse gesundheits- und krankheitspolitisch differenzierter wahr zu nehmen:
1. In Deutschland ist ein isolierter Masern-Impfstoff nicht verfügbar. Es kann immer nur gegen Masern-Mumps-Röteln (MMR) erstimmunisiert bzw. der MMR-Impfschutz aufgefrischt werden.
2. Im Sinne einer positiven bio-psycho-sozialen Verstärkung sollte immer zunächst von Impf- und Immunisierungs-Erfolgen die Rede sein.
3. Impferfolg und MMR-Immunstatus sollten in einer wohlhabenden Überflussgesellschaft in Deutschland zu Lasten der Gesetzlichen und Privaten Krankenversicherungen (GKV und PKV) an Hand der MMR-Antikörper routinemäßig gemessen werden, wie es z.B. für Röteln in der Schwangerenvorsorge vorgeschrieben ist.
4. Primäres (nach nur einer oder keiner MMR-Impfung) Impfversagen und sekundäres Impfversagen (nach 2 MMR Impfungen) muss Gegenstand infektiologischer Grundlagenforschung werden.
Nur so können epidemiologische Fortschritte erzielt und die besonderen Erkrankungsgipfel bei Jugendlichen und Erwachsenen abgeklärt werden.

Noch ein Wort zur m.E. völlig deplatzierten Begrifflichkeit des Ausrottens/Ausradierens („Eradication“ lt. WHO) von Infektionskrankheiten. Eradikation könnte als martialischer Begriff nur dann Zieldefinition sein, wenn auch der letzte Mensch auf dieser Erde mit einer MMR-Impfung erreichbar wäre. Dies ist aber auf absehbare Zeit insbesondere in Schwellen und 3. Welt-Ländern nicht erreichbar.

So ist z.B. die Lage in Madagaskar hochdramatisch: Von Anfang September 2018 an wurden in Madagaskar rund 124.515 Fälle von Masern-Infektionen gemeldet. 1205 Menschen seien gestorben. Am stärksten sei die Hauptstadt Antananarivo mit ihrer Umgebung betroffen. Die meisten Opfer dieser Masernepidemie sind Kinder im Alter von bis zu 14 Jahren wie die WHO im März berichtete. Die Organisation hat in dem Inselstaat gemeinsam mit örtlichen Behörden eine Impfkampagne begonnen, die gut sechs Millionen Kinder erreichen soll.
Nach https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/infektionskrankheiten/masern/article/985524/masern-epidemie-1205-tote-madagaskar.html

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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