(K)ein Skandal um neuen Blutverdünner Dabigatran

Die "Zeit" bringt Dabigatran mit Todesfällen in Verbindung und damit in die Schlagzeilen. Ist da was dran?

Peter OverbeckVon Peter Overbeck Veröffentlicht:
Warnung vor der Roten Hand in der "Zeit".

Warnung vor der Roten Hand in der "Zeit".

© nös

NEU-ISENBURG. Wirbel um Dabigatran (Pradaxa®): Der Gerinnungshemmer, der seit kurzem zur Schlaganfall-Prophylaxe bei Vorhofflimmern verordnet werden darf, soll, wie bundesweit in den Medien vielfach berichtet wird, angeblich auch in Deutschland zu Todesfällen geführt haben.

Nach Auskunft des Herstellers ist die Häufigkeit von Todesfällen allerdings niedriger, als auf Basis der Zulassungsstudie RE-LY zu erwarten war. Was ist da los?

"Boehringer bestätigt Todesfälle durch Schlaganfall-Mittel", "Todesfälle durch neues Medikament gegen Schlaganfall" - so und ähnlich lauten die beunruhigenden Headlines, die seit Donnerstag von Tageszeitungen und Online-Informationsdiensten verbreitet werden.

Todesfälle trüben Aussichten

Ihr Ausgangspunkt ist ein am selben Tag in der "Zeit" erschienener Artikel, der sich mit der Entwicklung neuer oraler Gerinnungshemmer wie Dabigatran, Rivaroxaban und Apixaban und deren Perspektiven befasst.

Die Dramaturgie dieses Artikels geht so: Pharmariesen haben wegen hoher finanzieller Erwartungen große Hoffnungen auf neue Gerinnungshemmer gesetzt, die sich jetzt als großer Reinfall erweisen könnten.

Als Grund für die "eingetrübten Aussichten" werden die jetzt in den Headlines ans Licht der Öffentlichkeit gebrachten Todesfälle genannt.

Weniger Todesfälle als zu erwarten war

Im noch relativ sachlich gehaltenen "Zeit"-Artikel liest sich das so: Der Hersteller Boehringer Ingelheim "bestätigte, dass auch in Deutschland und anderswo in Europa Todesfälle gemeldet wurden".

Über deren Zahl machte der Firmensprecher unter Hinweis auf die laufende Einzelfallprüfung keine Angaben. Über einen ursächlichen Zusammenhang kein Wort.

Wie von Seiten des Unternehmens gegenüber der "Ärzte Zeitung" versichert wurde, sei eben wegen der noch nicht abgeschlossenen Prüfung von einem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Dabigatran-Behandlung und den Todesfällen bei der Auskunfterteilung nicht die Rede gewesen.

Bestätigen könne man allerdings, dass die Häufigkeit der gemeldeten Todesfälle niedriger sei, als auf Basis von Daten der Zulassungsstudie RE-LY zu erwarten war.

Ursache Dabigatran?

So weit, so gut. Die "Zeit" wollte es aber nicht allein bei der Publikation des Artikels belassen.

Über eine Nachrichtenagentur als Multiplikator verbreitete die Hamburger Wochenzeitung eine verkürzte "aktuelle Vorabmeldung", die zwar inhaltlich nicht ganz im Einklang mit dem publizierten Artikel steht, dafür aber erheblich mehr hausgemachte Brisanz enthielt.

Denn in dieser Vorabmeldung war zu lesen, dass Dabigatran, angeblich bestätigt durch den Hersteller, auch in Deutschland "bereits zu tödlichen Nebenwirkungen geführt" habe.

Damit wird der Schein erweckt, als sei Dabigatran als Ursache der Todesfälle bereits zweifelsfrei dingfest gemacht worden.

Warnung per Rote-Hand-Brief

Was sind die Fakten? Dabigatran ist ein potenter Gerinnungshemmer, der, ebenso wie die guten alten Vitamin-K-Antagonisten, zu schweren Blutungskomplikationen führen kann.

Kein Geheimnis ist auch, dass die Substanz zu einem hohen Anteil renal eliminiert wird und deshalb die Nierenfunktion - sie nimmt bekanntlich mit zunehmendem Alter ab - bei der Verordnung von Dabigatran zu beachten und zu kontrollieren ist.

Diese Botschaft hat der Hersteller jüngst nach Fallberichten über tödliche Blutungen aus Japan auf Veranlassung der Arzneimittelbehörde EMA noch einmal in forcierter Form - nämlich als Rote-Hand-Brief - in die Fachkreise getragen.

Blutungsrisiko steigt mit dem Alter

Die RE-LY-Studie mit mehr als 18.000 beteiligten Patienten bietet keine Anhaltspunkte für eine Zunahme von schweren Blutungen unter Dabigatran im Vergleich zu Antikoagulation mit dem Vitamin-K-Antagonisten Warfarin.

Im Gegenteil: In der mit zweimal 110 mg Dabigatran behandelten Gruppe war die Inzidenz von Blutungen um sogar rund 20 Prozent niedriger. Die Rate intrakranieller Blutungen (hämorrhagischer Insult) wurde durch Dabigatran praktisch halbiert.

Allerdings zeigen Subgruppen-Daten, dass das Blutungsrisiko mit zunehmendem Alter ansteigt, bedingt vermutlich durch die altersabhängige Abnahme der Nierenfunktion.

Die Rate der Todesfälle war unter Dabigatran relativ um neun bis elf Prozent niedriger als unter Warfarin - ein numerischer, aber nicht signifikanter Unterschied.

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