Psychosomatische Medizin

"Morbus Bosporus" ist ein Vorurteil

Wenn türkischstämmige Migranten über diffusen Schmerz klagen, heißt das Urteil schnell: "Morbus Bosporus". Kennt man die kulturellen Hintergründe, findet man eher einen Ansatzpunkt für eine Behandlung.

Von Friederike Klein Veröffentlicht:

MANNHEIM. Migranten aus der Türkei sind gelegentlich nicht fähig, die genaue Lokalisation von Schmerzen zu beschreiben. "Kultur ist die mentale Software, die im Sozialisationsprozess programmiert wird", zitierte Privatdozent Sefik Tagay auf dem Internistenkongress in Mannheim den früheren IBM-Manager Geert Hofstede.

Kulturen unterscheiden sich stark in ihren Vorstellungen über Krankheitsentstehung und in ihrem Umgang mit Beschwerden und Krankheiten, wie der Psychologe an der Klinik für Psychosomatische Medizin in Essen erläuterte.

Kummer als Bauchschmerzen

So äußert sich in Deutschland seelisches Leid häufig als Herzbeschwerden, bei Franzosen eher als Beschwerden mit der Leber, Engländer geben Verdauungsbeschwerden an, Lateinamerikaner eher nervliche Leiden und Kopfschmerz.

Türken äußern somatische Symptome auf Basis von seelischem Leid besonders häufig als Bauchschmerzen.

Sprachliche Barrieren und kulturelle Missverständnisse sorgen oft für Frustration auf beiden Seiten. Eine neugierige, akzeptierende und wertschätzende Haltung ist deshalb enorm wichtig, betonte Tagay. Sonst sind hohe Therapieabbruchraten, erhöhte Medikamentenverordnung sowie mehr Arbeitsunfähigkeit und Berentungen die Folgen.

Krank durch den bösen Blick

In der ersten Generation von Migranten aus der Türkei gibt es viele Analphabeten und ein großes Wissensdefizit. Krankheiten werden als von außen kommend wahrgenommen, durch den bösen Blick oder magische Einflüsse ausgelöst beispielsweise.

Biopsychosoziale Zusammenhänge sind oft unbekannt. Eine Psychoedukation ist entsprechend wichtig, setzte aber entsprechende Sprachkompetenz voraus und sollte nicht nur mit schriftlichem Informationsmaterial, sondern möglichst auch per Video unterstützt werden.

 Teilweise bieten die Krankenkassen entsprechendes türkischsprachiges Informationsmaterial an.

Von Bedeutung in der Patientenversorgung ist auch die stärker vom Kollektivismus geprägte Gesellschaft der Türkei, die schon einmal einen systemischen Ansatz der Therapie, etwa unter Einbezug des Familienoberhaupts, nötig macht.

Kritisch ist in dem Zusammenhang ein Familienmitglied als Dolmetscher - zumindest wenn es sich um psychosomatische Beschwerden handelt, meinte Tagay.Im Landkreis Marburg-Biedenkopf werden Migranten aller Nationalitäten als Dolmetscher im Sozial- und Gesundheitswesen geschult, berichtete Viktoria Bachmann, deutschrussische Psychologin von der Universität Marburg.

Die Finanzierung gelingt aber nur bei der psychosomatischen Behandlung relativ einfach, ansonsten werde das nicht von den Krankenkassen bezahlt.

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