HINTERGRUND

Schutz vor Schlaganfall bei Vorhofflimmern - der dornige Weg zum idealen Antikoagulans

Peter OverbeckVon Peter Overbeck Veröffentlicht:
Anlegen eines EKGs. Damit lässt sich Vorhofflimmern nachweisen.

Anlegen eines EKGs. Damit lässt sich Vorhofflimmern nachweisen.

© Foto: BilderBox

Mit hohem Forschungsaufwand wird zurzeit nach neuen Möglichkeiten gesucht, Patienten mit Vorhofflimmern besser vor kardio-embolischen Schlaganfällen zu schützen. Besteht ein erhöhtes Schlaganfall-Risiko, empfehlen die Leitlinien bei Vorhofflimmern derzeit als Standard die orale Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon.

Obwohl deren präventive Wirksamkeit zweifellos hervorragend ist, wird der Bedarf an besseren Nachfolgern für Vitamin-K-Antagonisten (VKA) bei kaum einer Indikation als so dringlich empfunden wie beim Vorhofflimmern.

Denn diese Form der Schlaganfallprophylaxe ist für Arzt und Patient im Praxisalltag immer wieder eine Herausforderung. VKA haben eine schwer vorhersehbare Wirkung, da diese durch genetische Faktoren sowie Interaktionen mit der Nahrung oder mit anderen Medikamenten beeinflusst wird. Der Grat zwischen erwünschter (Thromboseverhinderung) und unerwünschter Wirkung (Blutungen) ist schmal. Um die Gerinnungswerte im engen therapeutischen Bereich zu halten, sind ein regelmäßiges Gerinnungsmonitoring und häufige Dosisanpassungen notwendig.

Drei Herausforderer scheitern an klassischer Antikoagulation

An Versuchen, die Limitierungen der Antikoagulation mit VKA zu überwinden, hat es nicht gefehlt. Das Idealbild eines Antikoagulans war dabei vorgezeichnet: Es sollte oral anwendbar und in fixer Dosierung applizierbar sein, eine kalkulierbare Wirkung sowie ein breites therapeutisches Fenster besitzen und kein regelmäßiges Monitoring erfordern.

Drei Herausforderer sind bisher bei dem Versuch gescheitert, sich als Nachfolger von VKA und neuer Standard in der Prävention des Schlaganfalls bei Vorhofflimmern zu etablieren. Erster Kandidat war der direkte Thrombinhemmer Ximelagatran. In einem großen Studienprogramm (SPORTIF) stellte dieses oral und ohne Gerinnungsmonitoring anwendbare Antithrombotikum unter Beweis, dass es Schlaganfälle bei Vorhofflimmern mindestens ebenso gut verhindert wie der VKA Warfarin.

Dass es dennoch zur Praxisreife nicht langte, lag an den Nebenwirkungen: Bei etwa 6 Prozent aller Behandelten kam es zu deutlichen Erhöhungen von Leberenzymen, was schließlich dazu führte, dass im Februar 2006 die klinische Entwicklung eingestellt wurde.

Studien mit mehr als 50 000 Patienten sind auf dem Weg.

Als nächster Aspirant erhob eine Wirkstoff-Kombination, nämlich das Plättchenhemmer-Duo ASS und Clopidogrel, Anspruch auf die VKA-Nachfolge. In einem Studienarm des ACTIVE-Projekts sind 6706 Patienten mit Vorhofflimmern und mindestens einem weiteren vaskulären Risikofaktor mit ASS / Clopidogrel oder mit dem Antikoagulans Warfarin behandelt worden. Dieser Arm ist 2005 vorzeitig gestoppt worden: Bei einer jährlichen Rate vaskulärer Ereignisse (Schlaganfall, Herzinfarkt, Embolien, vaskulärer Tod) von 5,6 Prozent (ASS / Clopidogrel) versus 3,9 Prozent (Antikoagulation) hatte der Unterschied zu Ungunsten der dualen Plättchenhemmung ein nicht mehr tolerables Maß erreicht.

Als dritter Herausforderer stellte sich dann der indirekte Faktor-Xa-Hemmer Idraparinux dem Vergleich mit der konventionellen Antikoagulation. Doch auch Idraparinux zog bei diesem Vergleich in der im Januar 2008 publizierten AMADEUS-Studie den Kürzeren: Obwohl in der Prävention des Schlaganfalls nicht weniger wirksam als Warfarin, fiel als Nachteil ein höheres Blutungsrisiko ins Gewicht. In einer neu aufgelegten Studie (BOREALIS-AF) soll nun ein chemisch verändertes, biotinyliertes Idraparinux geprüft werden. Der Wirkstoff ist an Biotin gekoppelt, an das bei Bedarf ein Antidot andocken kann, was die Therapie noch sicherer machen soll.

Die bisherigen Fehlschläge haben die auf Verbesserung der Antikoagulation zielenden Forschungsanstrengungen keineswegs erlahmen lassen. Im Gegenteil. Eine ganze Riege neuer Antithrombotika ist bereits an den Start gegangen, der klassischen Antikoagulation mit VKA die Position beim Vorhofflimmern streitig zu machen. Mehrere Megastudien sollen den erhofften Fortschritt nun endlich beweiskräftig dokumentieren.

In der größten Studie wird Darbigatran geprüft

Das Unternehmen Boehringer Ingelheim gab jüngst den Abschluss der Rekrutierung für die RE-LY-Studie bekannt, an der weltweit 18 114 Patienten mit Vorhofflimmern und erhöhtem Schlaganfallrisiko beteiligt sind. Prüfsubstanz ist der direkte Thrombinhemmer Darbigatran, der mit Warfarin verglichen wird. Ergebnisse werden für Anfang 2009 erwartet.

Nicht viel kleiner ist die ROCKET-AF-Studie, in die gemäß der Planung etwa 14 000 Patienten mit Vorhofflimmern aufgenommen werden sollen. Ziel ist, die "Nicht-Unterlegenheit" des direkten Faktor-Xa-Hemmers Rivaroxaban im Vergleich mit Warfarin unter Beweis zu stellen.

Wie Rivaroxaban ist auch Apixaban ein oral anwendbarer direkter Faktor-Xa-Hemmer. Apixaban wird in der ARISTOTLE-Studie - mit 15 000 Teilnehmern eine weitere Megastudie - in seiner präventiven Wirkung auf Schlaganfälle und systemische Embolien an Warfarin gemessen.

STICHWORT

Vorhofflimmern

Bei Vorhofflimmern besteht ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Schlaganfälle. Die orale Antikoagulation bietet dagegen den derzeit besten Schutz. Nicht die Art des Vorhofflimmerns (paroxysmal oder anhaltend), sondern das absolute Schlaganfallrisiko ist entscheidend dafür, ob eine Antikoagulation indiziert ist. Als wichtigste Kenngrößen für die Risikoabschätzung gelten zerebrovaskuläre Ereignisse (TIA, Hirninsult) in der Vorgeschichte, Lebensalter (75 Jahre und älter), Hypertonus, Herzinsuffizienz / linksventrikuläre Dysfunktion und Diabetes. Nur bei sehr niedrigem Risiko oder Kontraindikation gegen Antikoagulation kommt ASS in Betracht. (ob)

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