GASTKOMMENTAR
"Sichere Arzneien für Langzeittherapie? Das geht durchaus!"
Der Sommer naht, die arbeitende Bevölkerung in den Industrienationen eilt in die Ferien. Ließe sich da die langsam um sich greifende Langeweile nicht vortrefflich - wie in jedem Jahr auch in diesem - durch Horrormeldungen, etwa über Arzneimittel, mildern? In diesem Jahr böten sich als Opfer solcher Horrormeldungen Typ-2-Diabetiker an, die im Laufe der Jahre außer mit anderen Arzneimitteln mit einem Glitazon behandelt wurden.
Dass Glitazone über ein breites molekulares Angriffsspektrum verfügen - sie hemmen die so genannten Transkriptionsfaktoren vom Typ PPAR (Peroxisomen-Proliferator-aktivierter Rezeptor) -, ist bekannt. Dass bei langfristiger Einnahme gelegentlich Leberschäden auftreten, schreckte einige vor ein paar Jahren auf. Neu ist: Die Therapie mit einem Glitazon beschleunigt offenbar auch die Entwicklung von Frakturen und anscheinend ebenso die Entstehung von Herzinfarkten.
Überraschend sind diese Beobachtungen für die molekulare Pharmakologie eigentlich nicht. Denn Transkriptionsfaktoren sind ubiquitär aktiv, und die jahrelange Beeinflussung eines derartigen Regulationssystems kann ohne Zweifel auch zu Problemen führen.
Kardiovaskuläres Risiko ist nur marginal erhöht
Die Frage ist deshalb: Überwiegt bei der Glitazon-Therapie der Nutzen den Schaden? Selbst wenn dem so ist: Kein Patient weiß im Vorhinein, ob er von der Therapie profitiert oder ob er eher Nachteile hat! Dann ist es auch ein schwacher Trost, wenn, wie jetzt im "New England Journal of Medicine" gemeldet, mit Rosiglitazon im Vergleich zu anderen oralen Antidiabetika das kardiovaskuläre Risiko nur marginal, kaum signifikant erhöht ist. Der Unterschied ist so gering, dass viele Biometriker sich scheuen, definitive Schlüsse zu ziehen. Doch gering oder nicht: Knapp 50 Prozent mehr Infarkte bedeuten auch, dass einige Tausend Diabetiker im Jahr Schaden nehmen - wenn die Berechnung stimmt!
Was ist die Konsequenz?
Natürlich kann man fordern, Rosiglitazon zu verbieten. Aber manche Diabetes-Patienten scheinen von diesem Wirkstoff zu profitieren, und - wie gesagt - die erhöhte Infarktinzidenz steht statistisch auf schwachen Füßen.
Patentrecht verhindert so manche klinische Studie
Natürlich kann man auch generell fordern, Arzneistoffe mit komplexem Wirkungsmechanismus wie eben die Glitazone erst nach mehrjährigen Studien mit "harten" Endpunkten (klinisch relevant) - am besten der Mortalität - zuzulassen. Aber das Patentrecht verhindert ein solches Vorgehen: Wer würde schon solche teuren Studien über Jahre finanzieren, um dann festzustellen, dass der geprüfte Wirkstoff unbrauchbar oder brauchbar, aber nicht mehr patentgeschützt ist?
Natürlich kann man auch fordern, dass für chronisch Kranke wie Diabetiker nur noch Wirkstoffe zugelassen werden, deren positiver Effekt über jeden Zweifel erhaben ist. Das dürfte aber zum Verschwinden aller innovativen Medikamente führen.
Was als Option bleibt - und das gilt nicht nur für die Glitazone als innovative Gruppe von Arzneimitteln, sondern generell für alle neuen Wirkstoffe in der chronischen Pharmakotherapie -, ist der Aufbau internationaler Pharmakovigilanz-Systeme, die nicht auf Spontanmeldungen von Verdachtsfällen unerwünschter Arzneimittelwirkungen beruhen, sondern auf der langfristigen Beobachtung großer Kohorten. Bisher gibt es solche Systeme leider noch nicht!
Kein anderer Ausweg in Sicht?
Doch!
Ein Ausweg könnte auch darin bestehen, neue Wirkstoffe nur für den Zeitraum zuzulassen, für den sie in Studien mit "harten", also klinisch relevanten Endpunkten überprüft worden sind. Diese Zulassung würde, wenn die Studien (unter unabhängiger Kontrolle) entsprechend fortgeführt werden, von Jahr zu Jahr verlängert, gegebenenfalls auch über das Ende des Patentschutzes hinaus.
So erscheint es möglich, Innovationen kommerziell zu rechtfertigen, Langzeitergebnisse von statistischer Validität zu erhalten und trotzdem chronisch Kranken neue Medikamente zugängig zu machen.
Die Finanzierung könnte aus den Mitteln der Kassen und Abschöpfungen von Gewinnen der pharmazeutischen Industrie bezahlt werden. Denn letztlich sind "sichere" Arzneimittel preiswert - für Patienten, ihre Versicherungen und sogar die Hersteller.
ZUR PERSON
Professor Kay Brune arbeitet am Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Universität Erlangen-Nürnberg. Dort leitet er seit diesem Jahr die Doerenkamp-Stiftungsprofessur für Innovationen im Tier- und Verbraucherschutz. Zuvor hatte Brune 25 Jahre den Lehrstuhl für Pharmakologie und Toxikologie an derselben Uni inne.
Sein klinisches Interesse gilt der Pharmakotherapie von Patienten mit Schmerz und Entzündung. Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit sind etwa die Forschung zu Zyklooxygenasen und Zytokinen und die Pharmakokinetik von Schmerzmitteln. Der Pharmakologe ist Präsident der "International Association of Inflammation Research Societies".