Was tun, wenn Schmerzkranke über neue Schmerzen klagen?

Bei schmerz-multimorbiden, älteren Patienten ist besondere Aufmerksamkeit gefordert, wenn neue Schmerzen hinzukommen oder eine qualitative Änderung der alten Beschwerden auftritt. Über welche Hindernisse es doch zur richtigen Diagnose und Therapie bei einem Patienten mit einer rheumatischen Erkrankung gekommen ist, beschreibt der Rheumatologe Dr. Jörg Wendler aus Erlangen in der letzten Folge unserer Kasuistik-Serie.

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Ein 57jähriger Lehrer stellt sich wegen Fibromyalgie und therapieresistenter Borreliose vor. Er berichtet, daß bei der stationären Einstellung seines Diabetes mellitus vor 2,5 Jahren ein grippaler Infekt mit Fieber bis 38,5°C, kaum Husten, Schnupfen, aber starker Müdigkeit und leichten Gliederschmerzen aufgetreten sei.

Mit Abklingen des Fiebers sei es dann zunehmend zu Schmerzen in der rechten sowie linken Schulter - ziehend in die Oberarme - sowie im unteren LWS- und Glutealbereich gekommen. Die Beschwerden seien in der rechten Oberschenkelmuskulatur ausgeprägter als in der linken und nachts stärker als am Tag, "wie ein dauernder Muskelkater", mit Steifigkeitsgefühl morgens, aber ohne Muskelschwäche. Diese Schmerzen seien schlimmer als alles, was er zuvor erlebt habe. Seitdem fühlt er sich auch müde und abgeschlagen, ist zunehmend depressiv.

  • Was ist bisher passiert?

Bei dem Patient sind seit 40 Jahren rezidivierende, belastungsabhängige LWS-Schmerzen bekannt, die aber insgesamt immer als tolerabel beurteilt wurden. Zur Behandlung waren Krankengymnastik, Massagen, Wärme, NSAID und Tetrazepam ausreichend. Seit 10 Jahren treten zudem rechtsseitig dominante ziehend-stechende Schmerzen in den Schultern auf bei Belastung und Über-Kopf-Arbeiten. Mobilisierende Krankengymnastik, Lokal-Injektionen und NSAID linderten bislang auch diese Beschwerden einigermaßen. Nun sind sie allerdings auch nachts in Rechtsseitenlage vorhanden.

Wegen der neu aufgetretenen Schmerzen erfolgten dann weitere Diagnostik- und Therapiemaßnahmen. So wurde wegen einer auffälligen EBV-Serologie (EBV IgG und EBNA positiv) die Diagnose EBV-reaktive Myalgien/Arthralgien gestellt. Serologische Entzündungszeichen bestanden nicht. Mit Diclofenac bis 200 mg pro Tag wurde kaum Linderung erreicht. Ein Orthopäde bestätigte eine beidseitige Periathropathia calcarea der Schultergelenke, ein degeneratives LWS-Syndrom mit pseudoradikulären Symptomen, eine Skoliose, eine Cox- und eine Gonarthrose rechts sowie Myogelosen.

Daraufhin verordnete Krankengymnastik und Massagen halfen nicht. Erst eine Kortisoninjektion in die rechte Schulter besserte für etwa drei Tage die Beschwerden deutlich, wurde aber nur einmal wiederholt, weil "man nicht so oft ins Gelenk spritzen dürfe".Bei internistischer Diagnostik fiel dann ein erhöhter Borrelien-Titer auf (Borrelien-IFT IgG 1: 256, IgM 1: 64 Grenzwert). Doch weder mit Doxycyclin (200 mg pro Tag für drei Wochen) noch mit Rocephin i.v. (2g/d über zwei Wochen) wurden die Beschwerden anhaltend besser.

Dies weckte den Verdacht auf eine Fibromyalgie bei therapieresistenter Borreliose. Eine internistisch-rheumatologische Untersuchung mit umfangreicher Labordiagnostik schoß eine entzündliche rheumatologische Erkrankung aus und bestätigte die Fibromyalgie. Gegen die weiter bestehende Schmerzsymptomatik wurde dann im weiteren Behandlungsverlauf eine Therapie mit Amitriptylin und retardiertem DHC bis 240 mg begonnen mit nur geringem Effekt: die belastungsabhängigen LWS-Schmerzen bessern sich zwar, nicht aber die nächtlichen Schmerzen.

  • Was ist nun zu tun?

Bei der körperlichen Untersuchung fällt die gedrückte Stimmung des Patienten auf; er weint bei der Schilderung der nächtlichen Schmerzen. Es wird eine leichte Skoliose, paravertebrale Myogelosen der HWS und LWS, eine Beinverkürzung rechts, Schulterschiefstand und ein Abduktionsschmerz in der rechten Schulter bei 60° festgestellt. Der Nackengriff rechts ist nur mühsam, links leicht verlangsamt möglich. Es ist keine Arthritis tastbar, die Abduktion/Rotation des rechten Hüftgelenks ist mäßig eingeschränkt. Es finden sich zudem multiple Tender-points, wie sie für eine Fibromyalgie typisch sind.

Darüberhinaus sind Oberarm-, Oberschenkel- sowie gluteale Muskulatur auffallend druckschmerzhaft.Wegen des Verdachts auf eine Polymyalgia rheumatica beginnen wir eine Therapie mit 20 mg Prednisolon pro Tag. Daraufhin klingen die muskelkaterartigen, nächtlich und frühmorgendlich betonten Schmerzen und die damit verbundenen Schlafstörungen nach etwa drei Tagen nahezu komplett ab. Das retardierte DHC und Amitriptylin können abgesetzt werden, Diclofenac unter Magenschutz mit Omeprazol wird nur bei Bedarf bei Belastungsschmerzen eingesetzt. Im weiteren Verlauf kann Prednisolon innerhalb von sechs Monaten langsam bis auf 5mg/d reduziert werden. Bei noch geringeren Dosierungen treten wieder polymyalgische Beschwerden auf.

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