Nobelpreise

Chronik des medizinischen Fortschritts

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Mit Spannung wird am Montag die Bekanntgabe des Medizin-Nobelpreises erwartet. Gute Chancen haben Molekularmediziner, wie die prämierten Arbeiten der letzten Jahre zeigen. Aber auch Virologen und Reproduktionsmediziner wurden bedacht.

Von Wolfgang Geissel

NEU-ISENBURG. Die größten Fortschritte in der Medizin und Physiologie sind in den vergangenen Jahren aus der Zellforschung gekommen, wie die Bilanz der letzten sechs Nobelpreise verdeutlicht.

Ausgezeichnet wurde dabei die Entschlüsselung wichtiger Funktionen der Telomerase (2009), die Aufklärung weiter Teile der angeborenen und erworbenen Immunität (2011), die Reprogrammierung ausdifferenzierter Zellen zu Stammzellen (2012) und die Aufklärung wichtiger Komponenten des intrazellulären Transports von Hormonen und Botenstoffen (2013).

Etwas aus der Reihe nehmen sich in dieser Abfolge der preisgekrönten Arbeiten die Entdeckung von HPV und HIV (2008) sowie die Entwicklung der In-vitro-Fertilisation (2010) aus.

Die Grundlagenforschungen hierzu aus den 1970- und -80er-Jahren haben schon lange zu weitreichenden praktischen Anwendungen in Praxis und Klinik geführt.

So hat die Entdeckung von HPV durch Professor Harald zur Hausen (Deutschland) und von HIV durch Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier (Frankreich) die Prävention, Früherkennung und Therapie der Virusinfektionen ermöglicht.

Die Infektion mit HIV lässt sich heute mit Medikamenten in der Regel so weit unterdrücken, dass Aids in Folge vermieden werden kann. Und Zervix-Karzinomen als Spätfolge einer HPV-Infektion wird heute durch Screening auf die Viren und außerdem mit den HPV-Impfstoffen wirksam vorgebeugt.

Auch die von Robert G. Ewards (UK) entwickelte In-vitro-Fertilisation (IvF) ist schon lange in den klinischen Alltag eingezogen: Millionen Menschen sind seit 1978 bereits nach einer IvF geboren worden.

"Der beste Beweis, dass sich die künstliche Befruchtung zu einem sicheren reproduktionsmedizinischen Verfahren entwickelt hat, ist die Tatsache, dass viele durch IvF gezeugte Frauen nach natürlicher Empfängnis selbst Kinder zur Welt gebracht haben", hieß es 2010 in der Laudatio zur Preisverleihung .

Telomerase-Blocker für die Krebsmedizin

Den weiteren mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Arbeiten der vergangenen Jahre wird zumindest zugetraut, dass sie zu solchen weitreichenden praktischen Anwendungen führen werden. Dazu gehört der Preis für die Entdeckung des Enzyms Telomerase 2009 an Elizabeth Blackburn (Australien) sowie Carol W. Greider und Jack W. Szostak (USA).

Telomerase spielt eine Schlüsselrolle in der normalen Zellfunktion sowie bei der Zellalterung und bei der Entstehung der meisten Krebsarten. So zeigen Krebszellen eine auffallend hohe Telomerase-Aktivität und können sich quasi endlos teilen.

Die Suche nach Telomerase-Blockern hat sich inzwischen zu einem der bedeutendsten Forschungsgebiete in der Krebsmedizin entwickelt. Auch bei einigen erblich bedingten Krankheiten scheint das Enzym eine Rolle zu spielen, die Anwendung wird erforscht.

Neue Wege für die Prävention und die Therapie gegen Infektionen, Krebs und entzündliche Erkrankungen erhofft man sich von der Aufdeckung von Schüsselprinzipien für die Aktivierung des Immunsystems durch Bruce A. Beutler und Ralph M. Steinman (USA) sowie Jules A. Hoffmann (Frankreich).

Die Preisträger haben dabei entdeckt, wie die beiden Komponenten des Immunsystems, also das angeborene und das erworbene, aktiviert werden. Damit haben sich völlig neue Einsichten in Krankheitsmechanismen ergeben.

Toll-Like-Rezeptoren stimulieren die Abwehr

Steinman entdeckte zudem die dendritischen Zellen und ihre Fähigkeit, die erworbene Immunität zu regulieren. Beutler und Hoffmann fanden Rezeptorproteine, die Mikroorganismen als fremd erkennen und die die angeborene Immunabwehr stimulieren.

Die Funde lösten eine "Explosion" von Studien aus. Ungefähr ein Dutzend verschiedener Toll-LikeRezeptoren (TLR) sind bei Menschen und Mäusen identifiziert. Menschen mit bestimmten Mutationen in diesen Rezeptoren sind vermehrt anfällig für chronisch-entzündliche Erkrankungen. Durch die Entdeckungen habe sich das Verständnis vom Immunsystem revolutioniert, so die Preisjury.

Für die Entwicklung einer Methode, wie sich ausgereifte Zellen reprogrammieren und damit verjüngen lassen, wurde der Medizin-Nobelpreis 2012 verliehen (John B. Gurdon, UK, und Shinya Yamanaka , Japan).

Langfristiges Ziel der Forschung mit solchen induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) ist es, Gewebe für die regenerative Medizin zu züchten, um defektes Gewebe zu ersetzen. Zunächst einmal werden diese Zellen aber vorrangig in der pharmakologischen Forschung zur Entwicklung neuer Medikamente angewendet werden.

Wie wird in der Zelle beim Transport von Molekülen ein Verkehrschaos verhindert? Der deutschstämmige Thomas Südhof sowie James Rothman und Randy Schekman (alle USA) haben für Arbeiten zur Klärung dieser Frage im vergangenen Jahr den Medizin-Nobelpreis bekommen.

Die Forscher haben die Sicht über den zuvor rätselhaften Transport von Molekülen in der Zelle verändert, hatte die Preisjury bei der Verleihung betont. Dass Moleküle wie Hormone, Neurotransmitter und Zytokine in kleinen Bläschen durch die Zelle transportiert werden, ist zwar schon lange bekannt.

Wie das aber genau reguliert wird, blieb lange Zeit unklar. Durch die Entdeckungen der Preisträger fand man schließlich Erklärungen dafür, wie es zu Störungen etwa bei neurologischen Erkrankungen, bei Diabetes mellitus oder bei Immunerkrankungen kommt.

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