Gartentherapie

Ein Korb voller Pflanzen fürs Beet

Vor-Ort-Besuch im Berliner Klinikum Königin Elisabeth Herzberge: Die Gartentherapie gehört dort in der Gerontopsychiatrie schon seit Jahren zum Behandlungsplan.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:
Gartentherapeutin Marlit Bromm.

Gartentherapeutin Marlit Bromm.

© Werner

Bei Torsten Kratz sind es die Radieschen. Er liebt die kleinen roten Knollen mit dem scharfen Geschmack. Als kleiner Bub, so erinnert er sich, habe er Radieschen mit großer Freude im elterlichen Garten gepflanzt. Inzwischen ist Torsten Kratz Medizin-Professor und leitet die Gerontopsychiatrie am Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge (KEH) in Berlin-Lichtenberg. Noch immer aber freut er sich, wenn Radieschen in seiner Familie auf dem Tisch stehen.

Der Mediziner mit insgesamt drei Facharzt-Ausbildungen – Psychiatrie und Psychotherapie, Neurologie und Nervenheilhunde – ist überzeugt, dass der Kontakt mit der Natur für viele Menschen heilsam ist. "Natur ist gekoppelt an eine emotional angenehme Erinnerung und meist verbunden mit der eigenen Kindheit", sagt er. Diese Überzeugung setzt Professor Kratz auch in der Praxis um. In seiner gerontopsychiatrischen Abteilung gehört die Gartentherapie an zwei Tagen pro Woche zum festen Bestandteil im Behandlungsplan.

Heute ist es wieder so weit. Gartentherapeutin Marlit Bromm hievt einen Korb voller Pflanzen auf den Tisch der Klinikterrasse. Auf den Stühlen ringsherum sitzen sechs Frauen und drei Männer, alle im Seniorenalter. "Wer von ihnen kennt diese Pflanze denn?", fragt sie in die Runde und hebt ein grünes Gewächs in die Höhe – lange, robuste Stängel und oben kräftige, ausladende Blätter. Genau in diesem Moment eilt Herr K. herbei. Der Mittsechziger hat sich verspätet, aber den Namen weiß er sofort: "Eine Canna!" Die Gartentherapeutin ist hoch erfreut: "Toll!" Rund zwei Dutzend des indischen Blumenrohrs sollen heute ins Beet direkt am Bettenhaus gesetzt werden, dazu rosa Ziertabak, tiefroter Salbei, gelbe Löwenmäulchen, lila Astern, orange Studentenblumen, rosa Zinnien, bunte Mittagsblumen. Kübel mit Wasser stehen bereit, dazu kleine Schaufeln, Harken, Rechen.

Marlit Bromm gibt einen Plan in die Runde. Darauf hat sie eingezeichnet, was wo gepflanzt werden soll. Die meisten Patienten werfen einen kurzen Blick darauf und reichen ihn schnell weiter. Herr K. wartet nicht lange. Er schnappt sich den Korb mit den Cannas und läuft sofort von der Terrasse ans Beet. Frau Z. und Frau M. bleiben hingegen sitzen und holen erst mal alle Jungpflanzen aus den Plastikpaletten, damit Bromm diese auf dem Beet verteilen kann. Dort hat Herr K. schon den großen Spaten angesetzt und gräbt in der hintersten Reihe die Erde auf. Eine ältere Dame mit schwarzem T-Shirt holt sich einen Stuhl, setzt sich an den Beet-Rand und schaut den anderen Patienten zu.

"In der Gartentherapie muss man nicht groß erklären. Die älteren Patienten wissen, wie man Pflanzen setzt", sagt Marlit Bromm, deren erste Ausbildung eine Gärtnerlehre war. In diversen privaten Gärten sowie in großen Anlagen wie etwa der Humboldt-Universität in Berlin hat sie Berufserfahrung gesammelt. Danach folgten das Studium der Landespflege sowie Arbeiten im Garten- und Landschaftsbau. Von 2008 bis 2010 ließ sie sich zur Gartentherapeutin ausbilden.

Frau Z. und Frau M. stehen mittlerweile mitten im Beet, bücken sich mit einem Schäufelchen in der Hand tief hinunter und stechen in die Erde, um kleine Pflanzlöcher auszuheben. Sie setzen Aster um Aster, wirken bald wie versunken in die Arbeit. Herr K. drückt seine achte Canna in die Erde. Er hat in einem ungeheuren Tempo die Erde aufgebrochen, die Pflanze aufgestellt und dann schnell mit den Händen die Erde aufgehäufelt. Als das letzte Blumenrohr gesetzt ist, richtet er sich unvermittelt auf und schreitet schnell weg von den anderen Patienten in den weiten Klinikgarten.

Bromm beobachtet ihre Patienten und spricht sie immer wieder an. "Die Gartenarbeit", sagt sie, "hilft ihnen dabei, gedanklich nicht andauernd um die eigene Erkrankung zu kreisen." Jeder Patient sei frei, sich nur auf das einzulassen, was ihm guttue. Herr K. habe beispielsweise einen unglaublichen Tatendrang und steige schnell in die Arbeit ein, andere wie Frau Z. und Frau M. sind ausdauernd und konzentriert dabei. "Für alle sichtbar aber ist Tage später noch, was sie in diesen Nachmittagsstunden gemacht haben", sagt Bromm.

In einer Gartentherapie-Ausbildung werden das Wissen um die Pflanzen und die Gartengestaltung mit therapeutischen und medizinischem Kenntnissen zusammengeführt. So lernen die Teilnehmer beispielsweise, wie die Sinnesorgane funktionieren, vertiefen sich in die Ernährungsmedizin und erstellen erste Therapiepläne. Je nach Termingestaltung dauert die Ausbildung ein bis zwei Jahre. Neben den Therapiestunden am KEH arbeitet Bromm auch in Seniorenheimen und unterrichtet an der Berliner Alice-Salomon-Hochschule als Gastdozentin.

Im Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) findet sich die Gartentherapie nicht, wohl aber ist sie als Leistung der medizinischen Rehabilitation als Sonderform der Ergotherapie abrechenbar.

An einem Akuthaus wie dem KEH müssen sie daher aus dem engen Klinik-Etat herausgeschnitzt werden. Das sei es allemal wert, sagt Kratz. Im Unterschied zu anderen Formen der Ergotherapie sei die Gartentherapie "ausgeprägt emotionaler". Gerade Demenzpatienten könnten so erreicht werden. Ihnen helfe es, bei der Gartenarbeit angestaute Aggressionen abzubauen und ihre innere Unruhe zu mildern. "Die Patienten können selbst aktiv werden und bauen ihr Selbstwertgefühl wieder auf", sagt Kratz. Auch für die Abteilung zahle sich dies aus: Die Gartentherapie trage auch dazu bei, dass sich die Zahl der Medikamente verringere, die Liegedauer verkürze und zugleich die Lebensqualität der Patienten deutlich steige.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Gelistet als Best-Practice-Intervention

Psychische Gesundheit: OECD lobt deutsches Online-Programm iFightDepression

Wie sich Fehlinfos geraderücken lassen

Das Faktensandwich hilft im Umgang mit falsch vorinformierten Patienten

Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Was die MS-Behandlung auszeichnet

© Suphansa Subruayying | iStock

Lebensqualität

Was die MS-Behandlung auszeichnet

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

© AscentXmedia | iStock

Lebensqualität

Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema

ADHS im Erwachsenenalter

Wechseljahre und ADHS: Einfluss hormoneller Veränderungen auf Symptomatik und Diagnose

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG, Iserlohn
Neue Ansätze zur Behandlung seltener Krankheitsbilder

© Dr_Microbe / stock.adobe.com

Entwicklungen in der Therapie neuromuskulärer Erkrankungen

Neue Ansätze zur Behandlung seltener Krankheitsbilder

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen
Abb. 1: a) Verlauf einer Gruppe unbehandelter Personen, b) 5-Jahres-Daten der SUNFISH-Studie Teil1, c) Teil2

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [3]

Therapie der 5q-assoziierten SMA

Risdiplam-Filmtabletten: flexiblere Anwendung im Alltag

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Alter für Indikationsimpfung herabgesetzt

Neue STIKO-Empfehlung zur Herpes zoster-Impfung

Lesetipps
Ein Traum für jeden Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes: Eine vollständig automatisierte Insulingabe mit Full-Closed-Loop (FCL)-Systemen dank künstlicher Intelligenz (KI).

© Iryna / stock.adobe.com

KI in AID-Systemen

Diabetes: Vollautomatisierte Insulinpumpen sind im Kommen

Patient mit Hypoglykämie, der seinen Blutzuckerspiegel mit einem kontinuierlichen Blutzuckermesssensor und einer Smartphone-App überwacht.

© martenaba / stock.adobe.com

Trotz Schulung

Die wenigsten Diabetes-Patienten reagieren adäquat auf Hypoglykämie

Mammografie-Screening bei einer Patientin

© pixelfit / Getty Images / iStock

Prävention

Mammografie-Screening: Das sind Hindernisse und Motivatoren