Gesundheitswirtschaft
A wie Apotheke – oder Amazon
Die Digitalisierung nagt auch am Geschäftsmodell der Vor-Ort-Apotheke. Mit neuen Dienstleistungen könnte die Branche Marktanteile verteidigen.
Veröffentlicht:BAD HOMBURG. Versandverbot, Bonusdeckel oder sozialrechtliches Zugabenverbot? Wer die momentane apothekenpolitische Diskussion verfolgt, könnte meinen, es gäbe nichts Wichtigeres, als die Apotheken vor Preiswettbewerb im Rezeptgeschäft – besonders der niederländischen Versandkonkurrenz – zu schützen.
Derweil steht die Branche vor einer weiteren Herausforderung, auf die Rx-Festpreise jedoch keine Antwort geben: Amazon. Schon seit geraumer Zeit geistert der Name des E-Commerce-Riesen durch die Apothekerpresse – immer verbunden mit Spekulationen, wann das Online-Kaufhaus denn nun in großem Stil auch hierzulande den Markt aufrollen wird.
Einen kleinen Fuß hat es schon in der Tür: Seit sich ein Münchener Apotheker 2017 als Partner für Amazons Schnelllieferdienst „Prime-Now“ bewarb, bekommen Mitglieder in der bayerischen Landeshauptstadt auch freiverkäufliche und apothekenpflichtige Mittel via Amazon frei Haus.
Und etliche Apotheken mit Versandhandelserlaubnis nutzen Amazon inzwischen als Marktplatz. Den weltweit sichtbarsten Einstieg in den Medikamentenhandel vollzog Amazon im Juli 2018 mit dem Kauf der Bostoner Online-Apotheke PillPack.
80 Prozent sehen in Amazon eine Bedrohung für Apotheken
Einer neuen Umfrage des Beratungsunternehmens Sempora zufolge glauben 70 Prozent der Apotheker, dass Amazon „in naher Zukunft ein dominanter Player im Gesundheitsmarkt wird“. Über 80 Prozent sehen darin „eine Bedrohung für etablierte Versandapotheken und für die stationäre Apotheke“.
Allerdings lässt die Befragung auch erkennen, dass Amazon keineswegs nur als direkter Wettbewerber, sondern auch als Katalysator der lokalen Offizin-Konkurrenz ernst zu nehmen ist. So können sich „22 Prozent der befragten Apotheker vorstellen, Amazon Prime-Now Partner für ihre Stadt zu werden“.
Nach einem früheren Sempora-Report werden über den Amazon Marketplace von deutschen Apotheken bereits OTC-Produkte und Kosmetika für jährlich rund 100 Millionen Euro umgesetzt.
Vorbehalte der Verbraucher, bei Amazon Medikamente zu bestellen, seien nicht festzustellen, berichtet Sempora-Partner Arnt Tobias Brodtkorb; das gelte auch für Verschreibungspflichtige. Mit der Einführung des E-Rezepts dürfte der Apothekenmarkt daher noch interessanter für Amazon werden.
Denn der Lieferdienst mit Papierrezept-Abwicklung ist zu umständlich. Laut Sempora-Studie gehen über 70 Prozent der befragten Apotheker davon aus, dass das E-Rezept kurzfristig (22 Prozent) oder mittelfristig, in fünf bis sechs Jahren, etabliert ist.
Reichweite als Wettbewerbsvorteil
Doch nicht nur die schiere Marktmacht des Handelsgiganten aus Seattle – der mit über 44 Millionen registrierten Kunden allein in Deutschland weit mehr als das Doppelte sämtlicher namhaften Versandapotheken auf die Waage bringt – seien aus Apothekersicht respekteinflößend, meint Brodtkorb.
Auch dessen Reichweite und die Bequemlichkeit, die er seinen Kunden bietet, seien gravierende Wettbewerbsvorteile. Mittlerweile würden 38 Prozent aller Produktsuchen im Internet bei Amazon gestartet, gibt der Berater zu bedenken. Zudem bekämen Amazon-Kunden „alles aus einer Hand“ und das „schnell und ohne jegliche Retourenprobleme“.
Das „Handelsblatt“ berichtete unlängst, dass inzwischen annähernd die Hälfte des deutschen Onlinehandels über Amazon läuft.
Mit Beratungsleistung "Alexa" ausstechen
Und dann ist da noch „Alexa“, Amazons sprachgesteuertes Assistenzsystem. Irgendwann wird man damit auch Medikamente bestellen können, ist sich Brodtkorb sicher.
Vor einigen Monaten erst hat Amazon in den USA ein Patent auf eine Stimmenanalyse angemeldet, mit der sich körperliche und seelische Zustände, respektive Abweichungen von einer als normal abgespeicherten Befindlichkeit einer Person erkennen lassen.
Dann kann Alexa einem Nutzer gezielter Inhalte anbieten, beispielsweise – wie in der Patentschrift bereits angedeutet – bei Heiserkeit vorschlagen, Hustenbonbons zu bestellen.
Gegen einen Mitspieler mit solchen Möglichkeiten werden sich Ladenapotheken nur behaupten können, wenn sie anspruchsvolle Beratungsleistungen erbringen, so Brodtkorb.
Das will die Branche schon länger. Und der Einstieg steht unmittelbar bevor: Gesundheitsminister Spahn plant mit der nächsten Apothekenreform auch „zusätzliche pharmazeutische Dienstleistungen“, wie es in einem Eckpunktepapier heißt. In der Diskussion sind Medikationsanalysen oder Gesundheitschecks.
Finanziert werden soll das aus einem Fonds, in den 14 Cent je abgegebener Rx-Packung fließen. Damit kämen pro anno rund 100 Millionen Euro zusammen; nach früheren Plänen wollte Spahn sogar 240 Millionen spendieren.