Bürokratie und Geldmangel behindern die Rheuma-Forschung

Rheumatologin beklagt mangelnde Möglichkeiten, unabhängige klinische Studien zu finanzieren.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:

TÜBINGEN. Heftige Kritik an der Forschungssituation in Deutschland ist im Vorfeld des Jahreskongresses der Rheumatologen laut geworden. Unabhängige Studien scheiterten am Geld- und Personalmangel. Deutsche Bürokratie verhindere teilweise auch die Teilnahme an internationalen Forschungsprojekten.

Die Rheumatologin Professor Ina Kötter von der Universität Tübingen kritisiert in einem aktuellen Beitrag in der "Zeitschrift für Rheumatologie" (2010, 69:658) die mangelnden Möglichkeiten zur Finanzierung unabhängiger klinischer Studien in Deutschland. Besonders bei seltenen Erkrankungen wie Morbus Behçet sei man gezwungen, die Patienten mit hochwirksamen Medikamenten zu behandeln, obwohl dafür weder eine ausreichende Datengrundlage vorhanden sei, geschweige denn eine Zulassung. Unter den Bedingungen des neuen Arzneimittelgesetzes (AMG) seien Investigator Initiated Trials (IIT) jedoch praktisch nicht durchführbar.

Viele Zentren nehmen selbst an geförderten Studien nicht teil, weil die Aufwandsentschädigungen zu gering seien, um anfallende Kosten zu decken. So erhalte zum Beispiel eine Klinik für eine Industrie-finanzierte Phase-II-Studie etwa 10 000 Euro Aufwandsentschädigung pro Patient, erklärte Kötter im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". In der sogenannten INCYTOB-Studie bei Behçet-Patienten (Interferon- alfa-2a versus cyclosporin A in the treatment of ocular Behçet`s disease) wären es 1500 Euro pro Patient.

Angesichts des zunehmenden Personalmangels und der Arbeitsüberlastung im Klinikalltag seien immer weniger Ärzte motiviert und in der Lage, sich aktiv an unterfinanzierten Forschungsprojekten zu beteiligen. Junge Kollegen wissen: Anderswo gibt es auch gute Arbeit - ohne die Mehrfachbelastungen an der Universität.

"Die Anzahl der Ober- und erfahrenen Assistenzärzte ist in vielen Bereichen zurückgegangen", sagt Kötter. Viele Kliniken hätten keine Studienambulanzen oder könnten diese nicht besetzen. Kötter: "Das ist verheerend!" Hinzu kommen erhebliche bürokratische Hemmnisse im Arzneimittelgesetz, die mögliche Studienprojekte bereits im Keim erstickten.

Kötter nennt als Beispiel eine internationale Studie bei Bechterew-Patienten, an der sich deutsche Zentren nicht beteiligen würden, unter anderem weil für das Röntgenbild zum Ausschluss einer Tuberkulose vor Beginn der Biologika-Behandlung extra ein Antrag beim Bundesamt für Strahlenschutz erforderlich sei. Solche Antragsverfahren seien so aufwändig, dass selbst Pharmaunternehmen davor zurückschreckten und deutsche Patienten lieber erst gar nicht in die Studien einschließen würden.

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