Debatte über Impfpflicht

Bundestag sucht nach gangbarem Weg aus der Corona-Pandemie

Die Orientierungsdebatte zur Corona-Impfpflicht startete am Mittwochnachmittag mit Protesten von Impfgegnern vor dem Reichstag. Drinnen herrschte weitgehend Besonnenheit.

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Mit ab Sperrzäunen, Räumpanzern und Wasser werfen wird das Reichstagsgebäude zu Beginn der Orientierungsdebatte zu einer Corona-Impfpflicht im Bundestag gesichert.

Mit Sperrzäunen, Räumpanzern und Wasserwerfern wird das Reichstagsgebäude zu Beginn der Orientierungsdebatte zu einer Corona-Impfpflicht im Bundestag gesichert.

© Kay Nietfeld/dpa

Berlin. Soll es eine Verpflichtung zur Schutzimpfung gegen das SARS-CoV-2-Virus in Deutschland geben – und wenn ja, wie soll diese ausgestaltet sein? Der Bundestag ist am Mittwochnachmittag in die Debatte darüber eingestiegen.

Vor dem Reichstag kam es während der Aussprache zu Protesten gegen die Impfpflicht. Rund 1600 Einsatzkräfte der Polizei waren Medienberichten zufolge im Einsatz, um die Parlamentsdebatte zu sichern.

Gesetzesanträge wurden noch nicht erörtert. Bislang zeichnen sich aber drei Linien ab: eine gegen die allgemeine Impfpflicht, eine Initiative für eine solche Verpflichtung für alle erwachsenen Bundesbürger und ein Vorschlag für einen Mittelweg aus verpflichtender Aufklärung und Impfnachweis für alle Bürger ab 50 Jahren.

Schmidt: Gangbaren Weg finden

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) sagte, die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht werfe „komplexe Fragen“ auf. Die Abgeordneten sollten jenseits von Partei- und Fraktionszugehörigkeit darüber diskutieren und entscheiden.

Die SPD-Politikerin Dagmar Schmidt betonte, es gehe nicht um die Frage Impfpflicht „ja“ oder „nein“. Es gehe darum, einen gangbaren Weg aus der Pandemie zu ebnen. „Die Impfpflicht ist ein milderes Mittel als die Durchseuchung.“ Es brauche eine „sehr hohe Impfquote“.

Von der sei man aber noch weit entfernt in Deutschland. Die Lücke sei nur über eine Impfpflicht zu schließen. Einbezogen werden sollten alle Bundesbürger ab 18 Jahren, damit sich „alle mit allen“ solidarisch zeigen könnten.

Sorge: Wie ein Versteckspiel

Der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge warnte vor pauschalen Lösungen. „Das sind meist die schlechtesten Lösungen.“ Der Bundesregierung warf Sorge vor, keinen eigenen Antrag oder Vorschlag vorgelegt zu haben. „Es erinnert mich so ein bisschen an ein Versteckspiel.“

Wesentliche Teile eines 22 Punkte umfassenden Fragenkatalogs seiner Fraktion habe das Kanzleramt mit gerade einmal 12 Zeilen beantwortet, kritisierte Sorge. Es brauche aber Antworten, wie eine Impfpflicht praktisch und rechtlich „gut“ ausgestaltet werden könne. „Da sollten wir genauer hinschauen.“

Auch Boostern ohne Ende könne nicht die Antwort sein. Zudem brauche es eine „ordentliche Datengrundlage“, etwa durch Schaffung eines Impfregisters.

Buschmann: Größte Gefahr ab 50 Jahren

Justizminister Dr. Marco Buschmann verteidigte als Abgeordneter die Orientierungsdebatte. Immerhin habe sogar das Bundesverfassungsgericht die Einführung einer Corona-Impfpflicht als zu komplex angesehen, als dass sie ihre Entscheidung an die Stelle eines Beschlusses des Bundestags hätten setzen wollen.

Buschmann plädierte für eine eingeschränkte Impfpflicht. Der Expertenrat der Bundesregierung habe angemerkt, dass die Gruppe der über 50-Jährigen am stärksten gefährdet sei. Deshalb solle eine Impfpflicht darauf beschränkt werden.

Vogler: Gefahr massiv unterschätzt

Die von SARS-CoV-2 ausgehende Gefahr werde massiv unterschätzt, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Kathrin Vogler. Es herrsche in Teilen der Gesellschaft eine verzerrte Risikowahrnehmung. Der Staat sei aber in der Pflicht, alle Menschen zu schützen, auch kranke, alte und behinderte Menschen. Gleichzeitig gebe es Furcht vor milliardenfach erprobten Impfstoffen.

Für die AfD lehnte Fraktionschef Tino Chrupalla jegliche Impfpflicht ab. Es gebe keine Antworten auf Fragen nach Nebenwirkungen der Impfung. Chrupalla ordnete die Impfpflicht als „demokratiegefährdend“ und Ausdruck der „autoritären Bestrebungen“ der Regierung ein.

Intensivmediziner werben für Impfpflicht ab 18

Intensiv- und Notfallmediziner sprachen sich unterdessen für eine Impfpflicht für alle Bundesbürger ab 18 Jahren aus. „Es gilt, unsere Patienten wie auch unser Gesundheitssystem zu schützen und Menschenleben zu retten“, sagte DIVI-Präsident Professor Gernot Marx am Mittwoch.

Nur eine allgemeine Impfpflicht könne das dynamische Infektionsgeschehen perspektivisch abmindern und einen Ausweg aus der epidemischen Lage ebnen. Effekte einer SARS-CoV-2-Impfpflicht seien allerdings frühestens im Herbst zu erwarten – selbst wenn diese sofort umgesetzt werden sollte, betonte Marx.

Die einrichtungsbezogene Impfpflicht für Personal in Kliniken und für Pflegekräfte in Alten- und Pflegeheimen durchzusetzen reiche allein nicht aus, um das Pandemiegeschehen in den Griff zu bekommen, sagte DIVI-Präsident elect, Professor Felix Walcher. „Wir erwarten eine Solidarität der gesamten Gesellschaft, um das Gesundheitssystem aufrecht erhalten zu können.“

Betriebsärzte: Ohne Impfregister keine Impfpflicht umsetzbar

Der Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) erklärte, ohne Impfregister könne es keine allgemeine Impfnachweispflicht geben. Unternehmen und Betriebsärzten jedenfalls dürfe nicht die Verpflichtung auferlegt werden, Impfzertifikate zu kontrollieren und mögliche Verstöße zu sanktionieren.

„Daher fordern wir nachdrücklich die Einrichtung eines Impfregisters in der Bundesrepublik, in dem der Staat diese Aufgabenstellungen übernimmt und in den Kommunen beziehungsweisen Kreisen durchführt.“ (af/hom)

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