EU-Ratspräsidentschaft

Corona diktiert die Europa-Agenda

Die Agenda der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wird von der Pandemie geprägt sein. Bis Dezember wird die Europäische Union die Grenzen des Subsidiaritätsprinzips zumindest in der Gesundheitspolitik neu vermessen. Angela Merkel und Emmanuel Macron gehen voran.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
SARS-CoV-2 krempelt auch die EU-Politik um.

SARS-CoV-2 krempelt auch die EU-Politik um.

© AIDAsign / stock.adobe.com

Berlin. Im vergangenen Herbst war noch alles in Ordnung. Die Regierungschefs der deutschen Bundesländer saßen Ende Oktober zusammen und formulierten ihre Erwartungen an die EU-Ratspräsidentschaft der Bundesrepublik. Angeführt wurde der Katalog von der Passe-partout-Forderung nach einer „Konferenz zur Zukunft Europas“, wie sie zuvor auch die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagen hatte. Mit anderen Worten: Man langweilte sich und hatte nichts Neues zu sagen.

Viele hundert Milliarden Euro fließen

Dann kam das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 nach Europa. Es schrieb die Agenda der EU-Präsidentschaft Kroatiens im ersten Halbjahr 2020 und bestimmt nun auch die der Präsidentschaft Deutschlands. Im Wortlaut ist deren Programm noch nicht bekannt. Das verbiete der Respekt vor der noch andauernden Präsidentschaft Kroatiens, hieß es dazu nach der Kabinettssitzung am Mittwoch. Gleichwohl ist klar, dass viele hundert Milliarden Euro fließen werden, um die von Corona verursachten Schäden am Modell Europa zu reparieren.

Die ersten Pflöcke werden bereits am Montag eingeschlagen, wenn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu Besuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel ist. Um die Arbeit der Ratspräsidentschaften nachhaltiger zu gestalten, hat die EU die Trio-Präsidentschaft entwickelt. Das bedeutet, dass Portugal und Slowenien, die Deutschland folgen, mit in die Arbeit einbezogen werden.

De facto setzt die Kanzlerin auf die deutsch-französische Freundschaft. Schon Mitte Mai haben Merkel und Macron ihr neues Credo der europäischen Gesundheitspolitik formuliert.

Es lautet: „Wir streben eine strategisch positionierte europäische Gesundheitsindustrie an, die unter uneingeschränkter Achtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für ihre eigenen Gesundheits- und Sozialsysteme die europäische Dimension des Gesundheitswesens auf eine neue Stufe hebt und Abhängigkeiten der EU reduziert“.

Gemeinsame Arznei-Reserve

Konkret setzen sich Merkel und Macron für einen europäischen Impfstoff gegen das Coronavirus ein. Dazu gehören der Aufbau von Produktions- und Lagerkapazitäten, eine europäische Reserve an Arzneimitteln, Schutzausrüstung und Testkits, ein europäischer Datenraum und der Ausbau des Europäischen Zentrums für Krankheitskontrolle und -vorbeugung (ECDC) zu einer „Gesundheits-Taskforce“. Zusammen mit einer Reihe von industrie- und handelspolitischen Maßnahmen wollen Deutschland und Frankreich dafür 500 Millionen Euro als Zuschüsse verteilen. Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande sind gegen eine reine Zuschusslösung.

Zumindest der gesundheitspolitische Teil des Merkel-Macron-Plans ließe sich mit den europäischen Werkzeugen bearbeiten, ohne das Subsidiaritätsprinzip der Gemeinschaft zu verletzen. Im Vertrag von Amsterdam haben sich die Mitgliedsstaaten 1997 auf folgenden Text geeinigt: „Die Tätigkeit der Gemeinschaft ergänzt die Politik der Mitgliedstaaten und ist auf die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von Humankrankheiten und die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der menschlichen Gesundheit gerichtet. Sie umfaßt die Bekämpfung der weitverbreiteten schweren Krankheiten; dabei werden die Erforschung der Ursachen, der Übertragung und der Verhütung dieser Krankheiten sowie die Gesundheitsinformation und -erziehung gefördert.“

Corona-Bonds wären ein Novum

Die EU-Kommission unter Leitung von Ursula von der Leyen hat ebenfalls Pläne für eine wirtschaftliche Erholung des Kontinents. Sie will tatsächlich ein Grundprinzip der Subsidiarität durchbrechen. Von den 750 Milliarden Euro, die von der Leyen locker machen will, sollen 250 Milliarden aus einer gemeinsamen Schuldenaufnahme fließen. Die „Corona-Bonds“ wären ein Novum für die EU. Auch das EU-Parlament dreht mit am Geldhahn. 9,4 Milliarden Euro schwer soll das Programm „EU4Health“ wiegen. Es steckt im Haushalt der Union für die Jahre von 2021 bis 2027. Er soll während der Ratspräsidentschaft verabschiedet werden. Ausdrücklich will sich das Parlament der Ungleichheiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung in der Union annehmen.

Die meisten Ratspräsidentschaften verstreichen eher geräuschlos. Die bevorstehende wird spannend – auch in den deutschen Bundesländern.

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