Psychiatrische Versorgung

Für mehr Durchblick im SGB-Dschungel

Die psychiatrische Versorgung, insbesondere schwer und chronisch erkrankter Menschen, leidet unter Zersplitterung. Mit einem Projekt des GBA-Innovationsfonds soll ein Modell geschaffen werden, das als Blaupause für eine Gemeindepsychiatrie mit komplexen Leistungen aus einer Hand in der Regelversorgung des SGB V dienen soll.

Von Helmut Laschet Veröffentlicht:
Leistungsansprüche sind auf die Sozialgesetzbücher verteilt. Nicht nur für psychisch Kranke eine Herausforderung.

Leistungsansprüche sind auf die Sozialgesetzbücher verteilt. Nicht nur für psychisch Kranke eine Herausforderung.

© Uli Deck / dpa / picture alliance

Berlin. Menschen, die schwer und chronisch psychisch oder psychiatrisch erkrankt sind, stehen vor einer schier unüberwindbaren Herausforderung: Bei reduzierter Autonomie Leistungsansprüche aus den Sozialgesetzen zu realisieren.

Denn der Gesetzgeber hat diese Ansprüche und deren Finanzierung in verschiedenen Sozialgesetzbüchern auf die unterschiedlichsten Kostenträger verteilt: Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung sowie Kommunen.

Sozialversicherungsfachangestellte, ausgebildet und regelhaft tätig in einem bestimmten Zweig der Sozialversicherung, kennen sich im eigenen Beritt aus, nicht aber in angrenzenden Rechtskreisen des Sozialstaats. Eine kafkaeske Situation für psychisch kranke Menschen.

Zwölf Modellvorhaben werden gefördert

Auf der Basis von Paragraf 64bSGBV fördert der Gemeinsame Bundesausschuss nun zwölf Modellvorhaben zur Versorgung psychisch kranker Menschen. Im Mittelpunkt stehen dabei multiprofessionelle Teams in der gemeindepsychiatrischen Basisversorgung mit Anker- und Lotsenfunktion für diese Patienten.

Diese Teams sollen in einem standardisierten Assessment den individuellen Behandlungs- und Betreuungsbedarf aus allen psychiatrischen und psychosozialen Leistungsbereichen ermitteln und gemeinsam mit den Betroffenen passgenaue Hilfen suchen.

Hinzu kommen Krisendienste für Akutinterventionen, die rund um die Uhr zur Verfügung stehen sollen. Dabei soll auch ein ärztlicher Bereitschaftsdienst verfügbar sein, etwa um die Medikation sicherzustellen.

Taugliches Modell gesucht

Das Modellvorhaben an zwölf Standorten läuft über vier Jahre, darunter eine zweijährige Evaluationsphase, und wird mit neun Millionen Euro aus dem GBA-Innovationsfonds gefördert.

Das Ziel ist, ein für die Regelversorgung taugliches Modell zu beschreiben, das als Regelleistung in einem möglichen Paragrafen 37d SGBV kodifiziert wird, so Nils Greve vom Dachverband Gemeindepsychiatrie beim diesjährigen Digitalkongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) Ende November in Berlin.

Entscheidende Vorarbeiten dafür sind vom Institut für Sozialpsychiatrie der Universität Greifswald unter der Leitung von Professor Ingmar Steinhart geleistet worden. Er hat ein funktionales Basismodell für eine Gemeindepsychiatrie entwickelt, das alle notwendigen Unterstützungsfunktionen bei schweren psychischen Erkrankungen leistet: Es ist konsequent ambulant ausgerichtet, berücksichtigt den Sozialraum der Betroffenen und ist „recovery-orientiert“, wie Steinhart sagt. Die ambulanten multiprofessionellen Teams sollen rund um die Uhr auch an den Wochenenden verfügbar sein.

Beschrieben werden in dem Basismodell die notwendigen Funktionen – beispielsweise komplexer oder intensiver Behandlungsbedarf, Maßnahmen zur Gesundheitsförderung bis hin zur Beratung und Steuerung (Lotsenfunktion) der Patienten – und den sich aus den Funktionen ergebenden Ressourcen, beispielsweise dem Personalbedarf. Daraus lässt sich ein in der jeweiligen Region notwendiges Budget ermitteln.

Teilhabe soll gestärkt werden

Aufgrund dieser Sollvorgaben ist es möglich, in einem Vergleich mit der Ist-Situation Defizite zu ermitteln und Anhaltspunkte für eine Weiterentwicklung der Versorgung zu gewinnen.

In Umfragen unter niedergelassenen Ärzten werden Bewertungen für die Bedeutung verschiedener Funktionen der Basisversorgung erhoben. Entscheidend, so Nils Greve, sei die Bildung multiprofessioneller Teams, die Leistungen aus allen relevanten Rechtskreisen der Sozialgesetzbücher zur Betreuung und Behandlung der Patienten koordinieren und integrieren.

Das Ziel sei, Eigenverantwortung und Teilhabe am sozialen Leben der Betroffenen zu stärken, ihre Lebensqualität zu verbessern und die Angehörigen zu unterstützen. In einer randomisierten klinischen Studie mit 500 Teilnehmern in der Interventions- und einer gleich großen Kontrollgruppe sollen zweimal im Jahr durch Befragung die Effekte des Modells erhoben werden.

Das Modellprojekt läuft bis Mitte 2023. Dann wäre der Gesetzgeber am Zug, Schlussfolgerungen zu ziehen.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Was die MS-Behandlung auszeichnet

© Suphansa Subruayying | iStock

Lebensqualität

Was die MS-Behandlung auszeichnet

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

© AscentXmedia | iStock

Lebensqualität

Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Prognostizierbares Therapieansprechen?

© Stockbyte | gettyimages (Symbolbild mit Fotomodellen)

Antidepressiva

Prognostizierbares Therapieansprechen?

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Depression und Schmerz gehen häufig Hand in Hand

© brizmaker | iStock (Symbolbild mit Fotomodell)

Depressionsscreening

Depression und Schmerz gehen häufig Hand in Hand

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
7-Jahres-Daten belegen günstiges Nutzen-Risiko-Profil von Ofatumumab

© Vink Fan / stock.adobe.com

Aktive schubförmige Multiple Sklerose

7-Jahres-Daten belegen günstiges Nutzen-Risiko-Profil von Ofatumumab

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg

ADHS im Erwachsenenalter

Wechseljahre und ADHS: Einfluss hormoneller Veränderungen auf Symptomatik und Diagnose

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG, Iserlohn
Neue Ansätze zur Behandlung seltener Krankheitsbilder

© Dr_Microbe / stock.adobe.com

Entwicklungen in der Therapie neuromuskulärer Erkrankungen

Neue Ansätze zur Behandlung seltener Krankheitsbilder

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an

Übersichtsarbeit zu Grippeimpfstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Lesetipps
Eine MFA schaut auf den Terminkalender der Praxis.

© AndreaObzerova / Getty Images / iStockphoto

Terminservicestellen und Praxen

116117-Terminservice: Wie das Bereitstellen von TSS-Terminen reibungsloser klappt

Bei Grenzentscheidungen (z.B. kürzlich stattgehabte Operation) gelte es, Rücksprache mit der entsprechenden Fachdisziplin zu halten, betont Dr. Milani Deb-Chatterji.

© stockdevil / iStock

Eine schwierige Entscheidung

Schlaganfall: Das sind Grenzfälle der Thrombolyse