Kampf gegen Corona

Merkel dämpft hochfliegende Erwartungen

Die Aussprache über den Etat des Bundeskanzleramts ist traditionell Anlass zur Generaldebatte: Die Opposition kritisiert die Bundesregierung für die Corona-Politik scharf – Kanzlerin Angela Merkel reagiert sachlich.

Thomas HommelVon Thomas Hommel und Anno FrickeAnno Fricke Veröffentlicht:
Wir leben in einer Pandemie, wir leben damit in einer Ausnahmesituation“, verteidigte dagegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Kurs der Regierung.

Wir leben in einer Pandemie, wir leben damit in einer Ausnahmesituation“, verteidigte dagegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Kurs der Regierung.

© Kay Nietfeld / dpa

Berlin. Oppositionspolitiker haben am Mittwoch zum Teil harte Attacken gegen die Corona-Politik der Bundesregierung gefahren.

Die fehlende Nachhaltigkeit der Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre griff die Fraktionsvorsitzende der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen an. „Die Pflegekräfte stehen zum zweiten Mal in diesem Jahr vor dem Kollaps“, warnte Annalena Baerbock anlässlich der Aussprache über den Haushalt von Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt für das kommende Jahr.

Und das in einer Situation, in der schon vor der Corona-Krise 120.000 Pflegekräfte in den Altenheimen und 50.000 Krankenpflegekräfte in den Krankenhäusern gefehlt hätten. Der Bundesgesundheitsminister müsse auch nach Ende der Pandemie nach den Krankenhäusern schauen und die Pflegekräfte endlich in den Mittelpunkt der Gesundheitspolitik stellen, wetterte Baerbock. Dies müsse ein Element der Ordnungspolitik werden.

180 Milliarden Euro neue Schulden

Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel warf der Koalition eine „planlose und groteske“ Corona-Politik vor. Ständige Lockdowns führten zu mehr Kollateralschäden als das Virus selbst. Mit ihren Maßnahmen regierten Union und SPD bis in die Wohnzimmer der Bürger hinein, sagte Weidel.

Der Tagesordnungspunkt löst traditionell alljährlich eine Generaldebatte über die allgemeine Regierungspolitik aus. Insgesamt sieht der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für das kommende Jahr Ausgaben in Höhe von knapp 499 Milliarden Euro und rund 180 Milliarden Euro neue Schulden vor.

Lindner spricht von Symbolpolitik

FDP-Fraktionschef Christian Lindner nannte die Reduzierung von Kontakten zwar „notwendig“ – COVID-19 sei keine harmlose Erkrankung. Es könne aber nicht sein, dass Bund und Länder am Parlament vorbei von einem Lockdown zum nächsten marschierten.

Problematisch dabei sei, dass die „Halbwertszeit der Ankündigungen, Erklärungen und Verhaltensregeln immer kürzer“ werde. Damit werde die „die wichtigste Ressource in der Krise“ immer knapper: „Nämlich die Berechenbarkeit staatlichen Handelns.“

Die Bundesregierung habe es versäumt, den Sommer für vorbeugende Maßnahmen zu nutzen, sagte Lindner. Jetzt warte sie teils mit fragwürdigen Einschränkungen auf. „Welche Wirkung beispielsweise soll eine Ausgangssperre von 21 Uhr bis 5 Uhr morgens haben?“ Vom Gassi-Gehen mit dem Hund um den Block gehe „keine Infektionsdynamik aus“. Lindner sprach von „rein symbolischen Einschränkungen“.

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Merkel mahnt zu Realismus

„Wir leben in einer Pandemie, wir leben damit in einer Ausnahmesituation“, verteidigte dagegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Kurs der Regierung. Die Corona-Krise sei in der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik einmalig. Viele Menschen erlebten tiefe Einschnitte. Diese seien aber unumgänglich.

„Wir wissen immer mehr über das Virus“, betonte Merkel. Aber eben noch nicht genug – auch nicht, wie sich das Infektionsgeschehen über die Wintermonate entwickele. „Der wichtigste Schlüssel, den wir haben, sind nicht die Verbote und Schließungen und Kontrollen – die müssen an vielen Stellen sein. Der wichtigste Schlüssel zur erfolgreichen Bekämpfung des Virus bei uns ist das verantwortliche Handeln jedes Einzeln und die Bereitschaft zum Mitmachen.“ Die große Mehrheit der Bevölkerung tue das auch „und ziehe mit“.

Merkel erinnerte daran, dass die Infektionszahlen derzeit gerade in Altenpflegeeinrichtungen „besorgniserregend“ zunähmen. Der Hoffnungsschimmer sei die „zügige Impfung“ von Risikogruppen zu Beginn des kommenden Jahres.

590 COVID-19-Tote an einem Tag

Es gelte aber auch, „sehr realistisch an die Dinge heranzugehen“, dämpfte Merkel Erwartungen an schnelle Erfolge im Kampf gegen die Pandemie. „Wir werden im ersten Quartal 2021 noch nicht so viele Impfungen durchführen können, dass wir eine signifikante Veränderung in der Bevölkerung sehen werden.“ Gleichwohl bestehe die Chance, dort einen „Effekt zu erreichen“, wo aktuell die meisten Todesfälle auftreten würden.

Das Robert Koch-Institut (RKI) hatte zuvor einen erneut starken Anstieg der Todesfälle im Zusammenhang mit Corona gemeldet, 590 innerhalb eines Tages – 100 Fälle mehr als beim bisherigen Höchstwert von 487 Toten am vergangenen Mittwoch. Insgesamt wurden binnen 24 Stunden rund 20.800 neue Corona-Infektionen gemeldet. Am Mittwoch in der Vorwoche lag der Wert noch bei 17.270.

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Jetzt gelte es dafür zu sorgen, dass auch „breite Schultern“ sich an der Bewältigung der Lasten beteiligten, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich. „Der Sozialstaat ist für die Demokratie kein lästiges Beiwerk.“ Viele, die früher gedacht hätten, der Sozialstaat sei nur für andere da, stellten nun fest, der „Sozialstaat hilft allen und nützt allen“.

Linke: Probleme werden nicht angegangen

Die Probleme, die das Ausbruchsgeschehen verstärkten, seien offensichtlich, würden erkannt, dann aber nicht angegangen, sagte die Fraktionsvorsitzende der Linken Amira Mohamed Ali mit Blick auf die erneuten Ausbrüche in fleischverarbeitenden Betrieben.

Dass erneut ein verschärfter Lockdown geplant werden müsse, habe auch etwas damit zu tun, dass die die Pflegeeinrichtungen nur mangelhaft für diese Situation ausgestattet seien. Es werde zudem kein Signal für bessere Arbeitsbedingungen im Krankenhaus und Pflegeheim gesendet.

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