Vorläufige Zahlen 1. Halbjahr

Krankenkassen trudeln geschlossen ins Minus

Die Krankenkassen rutschen nach dem ersten Halbjahr durch die Bank in rote Zahlen. Die AOK-Gemeinschaft verzeichnet ein Minus von 1,6 Milliarden Euro. Die Leistungsausgaben steigen teils zweistellig.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Verzeichnet nach vorläufigen Zahlen von Kassenverbänden für das erste Halbjahr tiefrote Zahlen: Die gesetzliche Krankenversicherung.

Verzeichnet nach vorläufigen Zahlen von Kassenverbänden für das erste Halbjahr tiefrote Zahlen: Die gesetzliche Krankenversicherung.

© Comugnero Silvana / stock.adobe.com

Berlin. Bei den Ausgaben der Krankenkassen deutet sich zum Halbjahr eine Trendwende an: Die Zahlen sind im zweiten Quartal deutlich nach oben gegangen, erfuhr die „Ärzte Zeitung“ auf Anfrage. Die Kassenverbände rutschen durch die Bank ins Minus.

Die AOK-Gemeinschaft schließt das erste Halbjahr demnach mit einem Minus von 1,6 Milliarden Euro ab. Damit hat sich das Defizit im ersten Quartal (-563 Millionen Euro) nochmals deutlich vergrößert. Über die ersten sechs Monate hinweg haben die Ausgaben durchschnittlich um 5,6 Prozent zugelegt. Betrachtet man aber isoliert das zweite Quartal, dann sind es knapp zehn Prozent, teilt der AOK-Bundesverband mit.

Nach dem starken Einbruch bei der Inanspruchnahme von Leistungen zu Beginn des Jahres kehre sich nun der Trend um, so dass einzelne Ausgabenposten zweistellige Wachstumsraten verzeichnen. Und im zweiten Halbjahr rechnet die AOK-Gemeinschaft mit weiteren Nachholeffekten. Ende 2021 könnte ein Defizit von mehr als vier Milliarden Euro in den Büchern der Ortskassen stehen.

„Befürchtungen werden bestätigt“

Auch bei den Ersatzkassen hat sich das Blatt gewendet. Stand nach dem ersten Quartal noch ein Überschuss von 435 Millionen Euro in der Bilanz, so ist es nach sechs Monaten ein Defizit von 14 Millionen Euro. Für sich betrachtet beläuft sich das Minus im zweiten Quartal somit auf 449 Millionen Euro.

Der Lockdown im Verlauf des ersten Quartals war noch durch deutliche Ausgabenrückgänge gekennzeichnet. Ganz anders etwa das zweite Quartal bei den Krankenhausausgaben: Hier steht bei den Ersatzkassen unter dem Strich ein Ausgabenwachstum von rund 17 Prozent je Versicherten im Vergleich zum Vorjahresquartal. Nimmt man die beiden ersten Quartale 2021 zusammen, so haben über alle Leistungsbereiche hinweg die Ausgaben um 8,2 Prozent zugelegt (erstes Quartal: 2,3 Prozent).

Trendumkehr, die auch das zweite Halbjahr prägen wird

Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des vdek, spricht mit Blick auf das zweite Quartal von einer „Trendumkehr“. Diese werde sich im weiteren Jahresverlauf fortsetzen. Ähnlich sieht dies das AOK-Lager: „Die aktuellen Ergebnisse bestätigen unsere Befürchtungen für das Jahr 2022: Auch im zweiten Halbjahr dieses Jahres ist keine Entlastung im Hinblick auf das zu erwartende strukturelle Defizit der GKV im kommenden Jahr zu erwarten“, kommentiert Jens Martin Hoyer, stellvertretender Vorstandschef des AOK-Bundesverbands, die Lage.

Mehrere Faktoren triggern das Ergebnis der AOK-Familie: Neben den Nachholeffekten seien dies hohe Vergütungsabschlüsse durch bundesweite Schiedsverfahren bei Heilmittelerbringern sowie die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer seit Jahresbeginn von 16 auf 19 Prozent – Letzteres werde sich vor allem bei den Arzneimittel-Ausgaben bemerkbar machen.

Zudem müssen etliche AOKen hohe Rücklagen schrittweise abbauen: Das Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz (GPVG) zwingt alle Kassen, die mehr als 40 Prozent einer durchschnittlichen Monatsausgabe bunkern, zwei Drittel dieses anteiligen Vermögens an den Gesundheitsfonds abzuführen.

Vom Plus ins Minus gedreht

Auch bei den Innungskassen hat sich der Wind im zweiten Quartal gedreht: Die IKK-Familie weist im ersten Halbjahr ein Defizit von 25,4 Millionen Euro aus. Nach den ersten drei Monaten hatte in den Büchern noch ein Überschuss von knapp 50 Millionen Euro gestanden. Der BKK-Dachverband meldet als vorläufiges Ergebnis ein Defizit von 230 Millionen Euro im ersten Halbjahr. Hier verstetigen sich die roten Zahlen: Nach dem ersten Quartal belief sich das Minus bei dieser Kassenart noch auf 63 Millionen Euro.

Die nach dem Ende des Lockdowns wieder steigende Inanspruchnahme von Leistungen habe auf das Ergebnis aller IKKen durchgeschlagen. „Dies muss auch bei den Beratungen über die Höhe des zusätzlichen Bundeszuschusses für das kommende Jahr berücksichtigt werden“, fordert eine IKK-Sprecherin.

Das sieht der AOK-Bundesverband genauso: Es zeichne sich für 2022 ein GKV-Defizit ab, das den bisher versprochenen zusätzlichen Steuerzuschuss von sieben Milliarden Euro deutlich übersteigen wird, sagt AOK-Vize Hoyer. Doch die große Koalition habe auf Basis ihrer „Sozialgarantie“ zugesagt, dass der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz nicht über 1,3 Prozent steigen solle.

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Rote Zahlen verstetigen sich

Wollten Union und SPD dieses Versprechen einhalten, dann müsse die Koalition noch vor der Wahl auf Basis der neuen Halbjahresdaten per Rechtsverordnung die Höhe des Bundeszuschusses für 2022 festlegen. „Ansonsten drohen spätestens zum Jahreswechsel Beitragssatzanhebungen auf breiter Front“, so Hoyer.

Auch aus Sicht von vdek-Chefin Elsner liegt mit den Halbjahresergebnissen nun der „entscheidende Baustein für die Prognose des Finanzbedarfs 2022 vor. Nun müsse der konkrete Finanzbedarf ermittelt werden, der zur Stabilisierung des Zusatzbeitrags notwendig ist. Der Ball dafür liegt beim Bundestag, der Anfang September zu einer Sondersitzung zusammentreten wird.

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Kommentare
Dr. Detlef Bunk 11.08.202118:50 Uhr

Patienten und Leistungserbringer durch solche Medienberichte nicht verrückt machen, Herr Florian Steack: Noch Mitte Juni 2021 berichtet das BMG:
"Die 103 gesetzlichen Krankenkassen haben in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres ein Defizit von 148 Mio. Euro verbucht. Trotz einer anteiligen Vermögensabführung von rund 2 Mrd. Milliarden Euro an den Gesundheitsfonds lagen die Finanzreserven der Krankenkassen Ende März 2021 bei rund 16,6 Mrd. Euro und entsprechen damit im Durchschnitt 0,7 Monatsausgaben. Die gesetzlich vorgesehene Mindestreserve für die einzelnen Krankenkassen beträgt 0,2 Monatsausgaben." Also: Keine Panikmache, bitte!

Dr. phil. Detlef Bunk
psychol. Psychotherapeut, Essen

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