Krebsprävention

Krebsscreening: EU-Kommission will mehr Tempo sehen

Die EU-Mitgliedstaaten sollen die Corona-Delle bei den Krebsscreenings schleunigst ausbeulen und sich stärker in der Krebsbekämpfung engagieren, fordert die EU-Kommission. Als Rückgrat sollen dabei die reformierten Empfehlungen zur Krebsfrüherkennung dienen – auch in finanzieller Hinsicht.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Nach dem Willen der EU-Kommission sollen europaweit künftig alle Frauen in der Altersspanne von 45 bis 74 Jahre im Rahmen eines nationalen Krebsscreenings ein Angebot zur Mammographie bekommen.

Nach dem Willen der EU-Kommission sollen europaweit künftig alle Frauen in der Altersspanne von 45 bis 74 Jahre im Rahmen eines nationalen Krebsscreenings ein Angebot zur Mammographie bekommen.

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Brüssel. Die EU-Kommission unter ihrer Präsidentin und Ärztin Ursula von der Leyen hat sich der effektiveren und effizienteren Krebsbekämpfung auf dem alten Kontinent verschrieben. Nimmt der Rat die ihm im September von der Kommission vorgelegte Modernisierungs-Empfehlung an, wird diese die derzeitige, noch aus dem Jahr 2003 stammende Empfehlung zur Krebsfrüherkennung ersetzen – unter dem Dach des Anfang Februar 2021 vorgestellten EU-Krebsplans.

Konkret will die Kommission die Mitgliedstaaten dabei unterstützen, die Zahl der Krebsscreenings zu erhöhen. Der Schwerpunkt der vorgeschlagenen Empfehlungen liegt auf der Krebsfrüherkennung, ihr Ziel ist es, die Zahl der Screenings zu erhöhen, mehr Zielgruppen anzusprechen und mehr Krebsarten einzubeziehen.

Screening wird erweitert

Wie die Kommission betont, beruhe ihr Vorstoß auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Entwicklung und Evidenz und werde die Mitgliedstaaten dabei unterstützen, bis 2025 insgesamt 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der EU, die für Brust-, Gebärmutterhals- und Darmkrebs-Screenings in Frage kommen, ein solches Screening anzubieten. Mit der neuen Empfehlung werde zudem das populationsbezogene systematische Krebsscreening auf Lungen-, Prostata- und unter bestimmten Umständen auch auf Magenkrebs ausgeweitet.

Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas betont das Junktim zwischen dem Kampf gegen Krebs und den Herausforderungen im Zuge der Corona-Pandemie. „Krebs ist für uns eine gesundheitspolitische Priorität! In den letzten zwei Jahren hat COVID die Krebsprävention, -erkennung und -diagnose enorm behindert. Je früher ein Krebs erkannt wird, desto mehr Behandlungsmöglichkeiten gibt es, sodass mehr Menschenleben gerettet werden können. Zu diesem Zweck müssen wir das Krebsscreening in der gesamten EU fördern. Heute zeigen wir wieder, welchen Stellenwert eine entschlossene und gemeinsame Krebsbekämpfung für uns hat“, so der für die Förderung des europäischen Lebensstils zuständige EU-Kommissar.

Seine für die Gesundheit zuständige Kollegin Stella Kyriakides verdeutlicht: „Im Jahr 2020 wurde bei geschätzten 2,7 Millionen Menschen in der EU Krebs diagnostiziert, und mehr als 1,3 Millionen Menschen haben durch diese Krankheit ihr Leben verloren. Wie wir wissen, kann eine frühzeitige Diagnose Leben retten und die Lebensqualität verbessern. Im Rahmen von Europas Plan gegen den Krebs schlagen wir einen neuen Kurs beim Krebsscreening in der EU ein.“ Konkret sollen mit den neuen Empfehlungen das Krebsvorsorgeprogramm der EU Krebsarten erfassen, auf die zusammen fast 55 Prozent aller onkologischen Neuerkrankungen entfallen, die jedes Jahr in der EU diagnostiziert werden. „Unsere neuen Empfehlungen werden unsere Maßnahmen EU-weit verstärken, damit wir rasch handeln und die Lücken schließen können, die durch die Folgen von COVID-19 in der Krebsdiagnose und -versorgung gerissen wurden. Gemeinsam können wir bei Krebs gegensteuern“, ergänzt die Gesundheitskommissarin, die zugleich auch als Vorsitzende des nationalen Ausschusses Zyperns für die Strategie zur Krebsbekämpfung fungiert.

Knapp 100 Millionen Euro EU-Mittel

Die Umsetzung der neuen Empfehlungen werde mit 38,5 Millionen Euro aus dem Programm EU4Health und mit 60 Millionen Euro aus dem Wissenschaftsprogramm Horizon Europe gefördert. Darüber hinaus werde die Kommission im Rahmen des Programms EU4Health 2023 zusätzliche Mittel für das Krebsscreening vorschlagen. Weitere Unterstützung sollen auch die europäischen Regional-, Kohäsions- und Sozialfonds leisten, weist die Kommission hin.

Um ein gezielteres und weniger invasives Screening zu erleichtern, enthält die Empfehlung folgende Maßnahmen:

Die Zielgruppe für das Brustkrebsscreening sollte auf Frauen zwischen 45 und 74 Jahren erweitert werden – derzeit liegt die Altersspanne nur bei 50 bis 69 Jahren.

Frauen im Alter von 30 bis 65 Jahren sollten alle fünf Jahre oder öfter auf das humane Papillomavirus (HPV) getestet werden, um Gebärmutterhalskrebs zu erkennen, wobei der HPV-Impfstatus zu berücksichtigen ist.

Es werden Triagetests auf Darmkrebs in der Altersgruppe 50 bis 74 Jahre durch immunchemische Stuhltests gefordert, um so bestimmen zu können ob eine endoskopische oder koloskopische Folgeuntersuchung nötig ist.

Von den neuesten Evidenzen und Methoden ausgehend, erweitert die Empfehlung das systematische Screening auf drei weitere Krebsarten:

Untersuchung auf Lungenkrebs bei starken aktiven und ehemaligen Raucherinnen und Rauchern im Alter von 50 bis 75 Jahren;

Untersuchung auf Prostatakrebs bei Männern bis zu 70 Jahre mittels prostataspezifischer Antigentests und Magnetresonanztomografie als Folgeuntersuchung sowie

Screening auf Helicobacter pylori und Überwachung präkanzeröser Magenläsionen in Regionen mit hoher Magenkrebsinzidenz und -sterblichkeit.

Besonderes Augenmerk gilt in der Empfehlung, so die Kommission weiter, dem gleichberechtigten Zugang zu Screenings, den Bedürfnissen bestimmter sozioökonomischer Gruppen, Menschen mit Behinderungen und Menschen, die in ländlichen oder abgelegenen Gebieten leben, damit das Krebsscreening EU-weit Realität wird. Genauso wichtig sei es, geeignete und zeitnahe Diagnoseverfahren, Behandlungen, psychologische Unterstützung und Nachsorge sicherzustellen. Darüber hinaus werde mit der Empfehlung ein regelmäßiges systematisches Monitoring der Screeningprogramme, einschließlich ihrer Ungleichheiten, über das Europäische Krebsinformationssystem und das Register der Ungleichheiten bei der Krebsbekämpfung eingeführt.

Empfehlung entfaltet ihre Wirkung

Die Empfehlung des Rates aus dem Jahr 2003 enthält Empfehlungen für die Krebsfrüherkennung und fordert die Mitgliedstaaten auf, bevölkerungsbasierte, qualitätsgesicherte Screeningprogramme durchzuführen. Wie sich gezeigt hat, konnte sie das Krebsscreening verbessern und sicherstellen, dass die am stärksten betroffenen Personen einfachen Zugang zu systematischen Screenings haben, resümiert die Kommission.

Im Bericht von 2017 über die Umsetzung dieser Empfehlung und im Europäischen Leitfaden zur Verbesserung der Qualität bei der umfassenden Krebsbekämpfung wurden sowohl künftige Probleme als auch neue Erfordernisse aufgezeigt. Es wurde deutlich, dass die Empfehlung überarbeitet und an die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst werden musste. In den vergangenen 20 Jahren seien in den Mitgliedstaaten neue Screeninguntersuchungen und -protokolle validiert und eingeführt worden, und es gebe neue Evidenz, die die Ausweitung der Screeningempfehlungen auf weitere Krebsarten stützt, die noch nicht Gegenstand der alten Empfehlung waren.

Hohe Diskrepanz bei Angeboten

Im Jahr 2020 enthielten, wie aus der wissenschaftlichen Stellungnahme der Gruppe leitender wissenschaftlicher Berater, die als Grundlage für den Vorschlag der Kommission aus dem Jahr 2022 zur Aktualisierung der Empfehlung des Rates zur Krebsfrüherkennung von 2003 dient, hervorgeht, die nationalen Krebsüberwachungspläne der EU-Mitgliedstaaten populationsspezifische Vorsorgeprogramme für Brustkrebs (25 Mitgliedstaaten), für Gebärmutterhalskrebs (22 Mitgliedstaaten) und für Darmkrebs (20 Mitgliedstaaten).

„Die vollständige Umsetzung ist noch nicht erreicht, und innerhalb der und zwischen den Mitgliedstaaten bestehen weiterhin Ungleichheiten. So variiert in der gesamten EU die Zielgruppenabdeckung bei der Brustkrebsvorsorge zwischen sechs Prozent und 90 Prozent und bei der Gebärmutterhalskrebsvorsorge zwischen etwa 25 Prozent und 80 Prozent. Daher sind faktengestützte Verbesserungen der derzeitigen Programme, der bewährten Verfahren und der Krebsvorsorge erforderlich“, heißt es in der Stellungnahme.

Qua Subsidiaritätsprinzip liegt die Verantwortung für Maßnahmen im Gesundheitsbereich weitgehend bei den nationalen Regierungen der EU-Mitgliedstaaten. Gemäß Artikel 168 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) wird aber auch die Verantwortung der EU für die „Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von Humankrankheiten und die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der körperlichen und geistigen Gesundheit“ festgelegt, wobei darauf hingewiesen wird, dass die Maßnahmen der EU die Politik ihrer Mitgliedstaaten ergänzen und die Zusammenarbeit zwischen ihnen fördern sollten. Insbesondere erhält die EU die Befugnis zur „Bekämpfung der weitverbreiteten schweren Krankheiten“.

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