Evaluation durch IGES-Institut

Psychiatrische Versorgung: Höhere Kosten sind kein K.o.-Kriterium

Das Innovationsprojekt NPPV zur Versorgung von Menschen mit psychischen und neurologischen Erkrankungen geht mit höheren Leistungsausgaben einher. G-BA-Chef Hecken schreckt das nicht.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
„Wir können noch an kleinen Schräubchen drehen, aber die Grundidee trägt“: G-BA-Chef Professor Josef Hecken zur berufsübergreifenden, koordinierten Versorgung im Rahmen des NPPV-Projekts.

„Wir können noch an kleinen Schräubchen drehen, aber die Grundidee trägt“: G-BA-Chef Professor Josef Hecken zur berufsübergreifenden, koordinierten Versorgung im Rahmen des NPPV-Projekts.

© Rolf Schulten

Berlin. Das vom Innovationsfonds geförderte Projekt zur Verbesserung der neurologischen, psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung (NPPV) in Nordrhein hat den Ritterschlag noch vor dem Projektende am 31. Dezember 2021 erhalten, findet Dr. Dominik Graf von Stillfried: Die „Richtlinie über die berufsübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung insbesondere für schwer psychisch kranke Versicherte mit komplexem psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf“ (KSV-Psych-RL) durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) am 2. September 2021. Sie hat in weiten Teilen das Konzept der NPPV aufgegriffen.

„Der Übergang in die Regelversorgung scheint somit sicher“, sagte von Stillfried, Geschäftsführer des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI), bei einer gemeinsamen Online-Veranstaltung des ZI und der KV Nordrhein.

Allerdings hat die Sache einen Haken: Das NPPV-Projekt hat in der Evaluation durch das IGES-Institut nicht die erhofften Ergebnisse erzielt. Sie hatte die Wirtschaftlichkeit des Projekts sowie die patientenorientierten Endpunkte in den Blick genommen, und zwar für die psychiatrischen Indikationsgruppen affektive Störungen, Psychosen und Traumafolgestörungen. Basis waren eine Patientenbefragung und Routinedaten der Krankenkassen.

Interprofessionelle, IT-gestützte Versorgung

In die NPPV waren von 2017 bis 2021 mehr als 14 .100 Patientinnen und Patienten mit schweren psychischen und neurologischen Erkrankungen einbezogen. Sie erhielten von 700 Ärztinnen und Ärzten sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten eine vernetzte, berufsgruppenübergreifende, koordinierte und IT-gestützte Versorgung, die durch Gruppen- und digitale Angebote ergänzt wurde.

Die Evaluation des Projekts habe einige positive Befunde ergeben, berichtete Dr. Julia Katharina Wolff vom IGES-Institut. So sei in der Interventionsgruppe die Kontinuität der Behandlung besser gewesen. Die NPPV-Teilnehmer wurden seltener krankgeschrieben, ihre Lebensqualität hat sich verbessert, wenn auch nicht sehr deutlich.

Dem stehe aber eine Reihe an negativen Befunden gegenüber, betonte Wolff. So hatten die Forscher erwartet, dass die Leistungsausgaben der Krankenkassen durch die koordinierte Versorgung sinken. „Wir finden leider den entgegengesetzten Effekt.“ Es gab höhere Leistungsausgaben aufgrund einer allgemein höheren Inanspruchnahme von psychiatrischen und neurologischen Leistungen, nicht nur der spezifischen Projektleistungen.

Keine bessere Einschätzung der Versorgungsqualität

Weitere Ergebnisse: Die NPPV-Teilnehmer waren bei einer stationären Versorgung länger im Krankenhaus. Wenn sie krankgeschrieben wurden, dauerte die Arbeitsunfähigkeit länger krank als bei Patienten aus der Kontrollgruppe. Und: „In der Gesamtschau gab es keine bessere Einschätzung der Versorgungsqualität durch die Teilnehmenden“, sagte Wolff.

Zwar habe die Evaluation Einschränkungen, räumte Wolff ein. Dazu gehörten die geringe Teilnahmerate an der Patienten-Befragung und die schwierige Bildung von Kontrollgruppen, die eine geringere Krankheitslast aufweisen könnten. Trotzdem: „Wir können keine uneingeschränkte Empfehlung für die Übernahme in die Regelversorgung aussprechen“, sagte die IGES-Wissenschaftlerin.

Der G-BA-Vorsitzende Professor Josef Hecken zeigte sich von dem negativen Urteil eher unbeeindruckt. „Die Ergebnisse würden mich schrecken, wenn wir in der Regelversorgung von einer optimalen Patientenversorgung ausgehen könnten.“ Das sei aber nicht der Fall. Es gebe in der Regelversorgung zwar ein breites Versorgungsangebot und ein breites Leistungsspektrum, sie seien aber nur bedingt oder gar nicht aufeinander abgestimmt.

Hecken: „Die Grundidee trägt“

Der Leitgedanke des NPPV-Projekts sei es gewesen, die Patienten mehr in den Fokus zu nehmen und ihnen die verfügbaren Angebote zugänglich zu machen, erläuterte Hecken. „Das geht nur durch die Vernetzung der Leistungserbringer.“

Für die multiprofessionelle Zusammenarbeit mache die KSV-Psych-RL verbindliche Vorgaben. An einigen Stellen habe die Richtlinie Einzelheiten aus dem Projekt nachjustiert. „Wir können noch an kleinen Schräubchen drehen, aber die Grundidee trägt“, betonte er.

Dass diese Versorgungsform zunächst zu höheren Kosten führt, ist für den G-BA-Chef kein K.o.-Kriterium. „Wir werden keine Kostendämpfungsmaßnahmen einführen, das wäre das Kind mit dem Bade ausschütten.“

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