Kommentar zum Bund-Länder-Streit

Reformmut ist der wichtigste Standortfaktor – doch wo bleibt er?

Der Bundesrat hat Nina Warkens Sparpaket vorerst im Vermittlungsausschuss versenkt. Bund und Länder verschleißen sich im Streit um eine Mini-Reform. Was soll erst 2026 werden, wenn es ans Eingemachte geht?

Florian StaeckEin Kommentar von Florian Staeck Veröffentlicht:
Gleich mehrere Baustellen und dabei kaum zu beneiden: Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU).

Gleich mehrere Baustellen und dabei kaum zu beneiden: Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU).

© Michael Kappeler/dpa

Altkanzler Ludwig Erhard vertrat noch jovial die Ansicht, der Kompromiss sei die Kunst, bei der Teilung des Kuchens jeden meinen zu lassen, er habe das größte Stück bekommen. Heute passt die Metapher vom Aufteilen des Kuchens nicht mehr. Es geht darum, ob zentrale politische Akteure in Deutschland noch die Kraft zu unbequemen Reformentscheidungen aufbringen.

Was sich vergangenen Freitag im Bundesrat abgespielt hat, markiert einen neuen Tiefpunkt in den Beziehungen von Bund und Ländern. Eine Ländermehrheit benutzte das Pflegekompetenzgesetz (Gesetz zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege) als Vehikel, um ein Exempel zu statuieren.

Das Mini-Sparpaket von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken, das die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung um zwei Milliarden Euro im kommenden Jahr dämpfen soll, wird via Vermittlungsausschuss gebremst.

Länder und Krankenhaus-Verbände in enger Allianz

Krankenkassen-Manager können ihre Haushalte für 2026 nicht solide planen, auf die GKV-Mitglieder und Arbeitgeber kommen in der Folge vermutlich höhere Belastungen zu. Zur Erinnerung: 1,8 Milliarden Euro entsprechen 0,1 Beitragspunkten in der GKV.

Bundesländer und Krankenhausverbände kämpfen seit Anbeginn in enger Allianz gegen Karl Lauterbachs Krankenhausreform – ihre „Erfolge“ beim Krankenhausreformanpassungs-Gesetz (KHAG) sind beachtlich. Gewiss hat das Sparpaket Warkens Schlagseite – 1,8 der zwei Milliarden Euro sollen auf Einsparungen im stationären Sektor entfallen.

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Dieser ist freilich in der GKV auch mit Abstand größter Kostenfaktor: Doch trotz Sparpakets würden den Krankenhäusern im kommenden Jahr acht Milliarden Euro mehr als 2025 zufließen – rund 120 Milliarden Euro werden es insgesamt sein.

Ein Kompromiss lag am vergangenen Freitag auf dem Tisch: Die Einsparungen, so der Vorschlag von Hessen, Bayern und Thüringen, sollten auf 2026 begrenzt werden, ohne die Kalkulation der Landesbasisfallwerte in den kommenden Jahren negativ zu beeinflussen. Doch eine Länder-Mehrheit lehnte diesen Vorschlag ab. Es wurde ihr aber auch leicht gemacht: Nina Warken kämpfte nicht – sie erschien erst gar nicht zum Bundesratsplenum.

Stark steigende Steuerzuschüsse zu erwarten

Parallel rechneten Wissenschaftler kürzlich bei einer Tagung des Verbands der Privaten Krankenversicherung (PKV) vor, dass sich schon im laufenden Jahr die Zuschüsse des Bundes an die Sozialversicherungen auf 137 Milliarden Euro addieren. Das ist mehr als ein Viertel des Bundeshaushalts.

Nach der Finanzplanung des Bundes werden es im Jahr 2029 bereits 183 Milliarden Euro sein – Darlehen und Sondervermögen zur Stabilisierung der Sozialkassen sind da noch nicht berücksichtigt.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Simone Borchardt, erklärte anlässlich der Tagung, die Bundesregierung werde sich „den existenziellen Herausforderungen in den Systemen der sozialen Sicherheit stellen“.

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Tatsächlich? Es sieht aktuell vieles nach Reformverweigerung aus. Die Politik kennt die Fakten, schiebt Verantwortlichkeiten aber hin und her – immer schön im Ping-Pong zwischen Bund und Ländern.

Mit bangem Blick fragt sich der Beobachter: Wenn eine solche Mini-Dosis von Reform bereits maximale Eskalation im politischen Gesamtgefüge Deutschlands auslöst, was soll erst 2026 passieren, wenn alle Expertenkommissionen getagt und Vorschläge für harte Strukturreformen auf dem Tisch liegen?

„Agenda 2010“ hatte einen politischen Preis

Nina Warken ist nicht zu beneiden. Sie steht zwischen einer reformmüden SPD-Fraktion, einer miserabel geführten Unionsfraktion, in der Unmut keimt und Friedrich Merz, der bislang nur verbal den Reformkanzler gibt. Das vorläufige Ergebnis lässt sich am Beispiel der Diskussionen über die Abschaffung der Pflegestufe 1 besichtigen.

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Mut, Entschlossenheit, politische Führung und eine Kommunikation, die Allianzen ermöglicht, statt Teile der Gesellschaft auszugrenzen, wären eine Alternative. Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) hat es in seiner Agenda-Rede im März 2003 in die Worte gefasst, man werde „Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen“.

Der Preis der „Agenda 2010“ für die SPD war hoch, für Deutschland waren die Veränderungen langfristig ein Segen. Ob in der schwarz-roten Koalition noch die Erkenntnis reift, dass Reformmut der entscheidende Standortfaktor für Deutschland ist?

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