Für Ärzte und NHS

Richtungsweisende Wahl in Großbritannien

Vor der Wahl des neuen Unterhauses haben alle großen Parteien in Großbritannien Milliardeninvestitionen in den Gesundheitsdienst NHS versprochen – ohne konkrete Pläne zu präsentieren. Viele Ärzte haben sich in den vergangenen Wochen politisch engagiert.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Briten-Premier Boris Johnson (Mitte) trommelt im Wahlkampf für den Brexit.

Briten-Premier Boris Johnson (Mitte) trommelt im Wahlkampf für den Brexit.

© Hannah Mckay / AP Images / picture alliance

London. An diesem Donnerstag (11. Dezember) wählt Großbritannien ein neues Unterhaus. Es ist eine richtungsweisende Wahl. Es geht natürlich um das Thema „Brexit“ und die Frage, wie wird es mit Großbritannien auf der europäischen Bühne weiter gehen?

Die britische Ärzteschaft ist nervös. Schließlich dürfte der Wahlausgang auch ihre Arbeitsbedingungen und berufliche Zukunft nachhaltend beeinflussen.

Premierminister Boris Johnson verspricht im Falle eines Wahlsiegs das Land spätestens am 31. Januar 2020 aus der EU zu führen. „Diese Wahl ist für die britische Ärzteschaft in vielerlei Hinsicht eine Schicksalswahl“, so ein Sprecher des britischen Ärztebundes (British Medical Association, BMA).

Und: „Wir beobachten seit Wochen, wie sich viele Ärztinnen und Ärzte aktiv in die Politik einschalten und sich in ihrem Wahlkreis politisch engagieren.“

Aktion „Health Campaigns Together“

Ein Beispiel dafür, wie sich britische Ärzte, aber auch viele andere Bedienstete des staatlichen Gesundheitsdienstes (National Health Service, NHS), vor der Wahl politisch engagieren, ist die Aktion „Health Campaigns Together“.

Dabei handelt es sich um ein regierungskritisches Bündnis diverser NHS-Gruppierungen. Sie befürchten, dass – sollte Johnson die Wahl gewinnen – die Zukunft des Prinzips der staatlichen Gesundheitsversorgung in Gefahr ist.

Vor großen NHS-Kliniken in London stehen seit Tagen Freiwillige der Kampagne, um Klinikbesuchern Flugblätter in die Hand zu drücken, auf denen Forderungen wie diese notiert sind: „Sofortige Einstellung von 7000 Haus- und 10 000 Klinikärzten!“. Oder auch: „Der NHS braucht sofort 40 000 zusätzliche Krankenpflegekräfte!“

Der NHS steckt seit Jahren schon in einer Dauerkrise. Stichworte sind zu viel Bürokratie, zu wenig Geld von der Londoner Regierung, demografische Trends und eine Gesundheitspolitik, die hin und her gerissen scheint zwischen der Idee, Teile des NHS zu privatisieren und dem Prinzip der staatlichen Allgemeinfürsorge nach dem Motto „von der Wiege bis zur Bahre“.

Angst vor Ausverkauf an US-Firmen

Dieses gesellschaftliche Solidaritätsprinzip ist vielen britischen Wählern heilig. Meinungsumfragen zeigen, dass die Gesundheitspolitik und damit die Zukunft des NHS neben dem Brexit das wichtigste Wahlthema ist.

Die Frage lautet: Können wir den Tories wirklich vertrauen, dass sie nach der Wahl den NHS nicht als Teil eines Post-Brexit-Freihandelsabkommens mit den Vereinigten Staaten unter Donald Trump verscherbeln?

Und an die oppositionelle Labour Partei gerichtet: Wie wollt ihr die versprochenen Milliarden, die ihr den Praxen und Kliniken versprecht, finanzieren? Beide Parteien vermeiden es, direkt auf diese wichtigen Fragen zu antworten. Premier Johnson beteuert zwar immer wieder, der NHS stehe „nicht zum Verkauf“. Schon gar nicht an profitsüchtige US-Unternehmen.

Gleichzeitig wurde aber bekannt, dass die Regierung in den vergangenen Monaten zahlreiche Gespräche mit den Amerikanern führte, bei denen es auch um ein zukünftiges Engagement von USFirmen im britischen Gesundheitssektor ging.

31 Prozent glauben Johnsons Worte

Aktuelle Meinungsumfragen zeigen: 45 Prozent der Wähler glauben, Premierminister Johnson lüge, wenn er behaupte, der NHS werde nach dem Brexit nicht weiter privatisiert und an US-Firmen verkauft. 31 Prozent glauben Johnsons Worten, 24 Prozent zweifeln, ob sie dem Premier glauben könnten.

Konkrete gesundheitspolitische Initiativen sind von keiner der großen Parteien (Tories, Labour, Liberale) zu hören. Es bleibt meist bei vagen Versprechen für eine bessere Zukunft. Alle Zusicherungen eines deutlich höheren Gesundheitsetats sind nach Meinung von Experten der London School of Economics unseriös, da die Finanzierung „völlig unklar“ bleibe.

Labour will das NHS-Budget von derzeit jährlich 121 Milliarden Pfund bis 2024 auf 155 Milliarden Pfund erhöhen, die Tories auf 149 Milliarden Pfund und die Liberalen auf 155 Milliarden Pfund.

Alle Brexit-Varianten im Wahlkampf auf dem Tisch

Thema Brexit: Obwohl das Referendum mehr als dreieinhalb Jahre her ist, ist weiterhin völlig offen, wie es weitergehen soll. Premier Johnson will mit seinem Versprechen eines „konsequenten Brexits“ Wählerstimmen gewinnen.

Labour hält sich bedeckter, will aber neu mit Brüssel verhandeln und das Ergebnis dann den Wählern in einem zweiten Referendum erneut vorlegen. Theoretisch könnte das auch bedeuten, dass der EU-Austritt noch abgesagt wird. Lediglich die Liberalen sagen klipp und klar: Wir wollen keinen Brexit und den Austritt ganz abblasen.

Großbritanniens Arztpraxen und Kliniken könnten ohne qualifiziertes Fachpersonal aus Deutschland und anderen EU-Ländern nicht funktionieren. Seit dem Referendum haben allerdings tausende Krankenschwestern und -pfleger aber auch viele Ärztinnen und Ärzte das Königreich verlassen.

Die EU-Einwanderung nach Großbritannien ist um mehr als 50 Prozent gesunken verglichen mit den Einwanderungszahlen der Zeit vor dem Referendum. Insofern dürfte die Ärzteschaft ebenso wie Klinikmanager, Krankenpflege-Personal und andere Bedienstete des NHS am Donnerstag sehr gut überlegen, wo sie ihr Kreuzchen auf dem Stimmzettel machen werden.

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