Adenovirus-Vakzine

Russland lässt weltweit ersten Corona-Impfstoff zu

Nicht nur die erste Nation im Weltraum, sondern auch der erste Staat mit einem Coronavirus-Impfstoff: Russland hat die Zulassung einer SARS-CoV-2-Vakzine bekannt gegeben. Von Fachleuten hagelt es Kritik.

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„Erster!“ Russlands Präsident Wladimir Putin bei einer Kabinettssitzung.

„Erster!“ Russlands Präsident Wladimir Putin bei einer Kabinettssitzung.

© Alexei Nikolsky / Pool Sputnik Kremlin / AP / dpa

Moskau. Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Dienstag die weltweit erste staatliche Zulassung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 bekannt gegeben. „Das russische Vakzin gegen das Coronavirus ist effektiv und bildet eine beständige Immunität“, sagte er der Agentur Interfax zufolge. International kam Kritik an dem Vorgehen.

Die Registrierung sei am Dienstagmorgen erfolgt, hieß es. Eine seiner beiden Töchter habe sich schon impfen lassen, sagte Putin. Der Vektorimpfstoff soll in Erinnerung an Russland Vordringen in den Weltraum 1957 auf den Namen „Sputnik V“ getauft werden, berichtete das Staatsfernsehen am Nachmittag.

Der Impfstoff wurde vom staatlichen Gamaleya-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau entwickelt. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) soll es sich bei der Vakzine um einen adenovirus-basierten Vektorimpfstoff handeln. Auch andere Unternehmen forschen an diesen Impfstoffen, die etwa als ChAdOx1 oder Ad26.COV2.S bekannt sind.

Noch keine wissenschaftliche Publikation

Im klinischen Studienregister der USA sind zwei Phase-I/II-Studien zu dem Gam-COVID-Vac-Impfstoff registriert (NCT04436471 und NCT04437875). In letzterer Studie wird die gefriergetrocknete Variante, „Gam-COVID-Vac Lyo“ zur Herstellung einer Lösung zur i.m.-Injektion, untersucht. Bei der soll es sich auch um die jetzt zugelassene Vakzine handeln.

Erst wenige Menschen sollen die Vakzine, die von der Firma Binnopharm produziert wird, im Rahmen der Studien erhalten haben. Russlands Gesundheitsminister Mikhail Mursashko sagte am 1. August, die Studien seien abgeschlossen. Ergebnisse oder gar Publikationen liegen bislang aber nicht vor.

Das Gamaleya-Institut hatte bereits im Mai mitgeteilt, einen Impfstoff entwickelt zu haben. Nach eigener Darstellung liefen die ersten Tests erfolgreich. Das Präparat wurde demnach an 50 Soldaten erprobt, die sich freiwillig gemeldet hätten. Den Berichten zufolge läuft eine Phase-III-Studie parallel weiter.

Russischen Agenturberichten zufolge hieß es zunächst, der Impfstoff solle ab 1. Januar 2021 in Verkehr gebracht werden. Bereits im August oder September könnten laut der russischen Vize-Ministerpräsidentin Tatjana Golikowa Lehrer, Ärzte und andere Gesundheitsberufe sowie andere Personen in Moskau geimpft werden

Erste Impfungen bereits im August?

Eine Zulassung vor dem Vorliegen der Ergebnisse großer klinischer Studien widerspricht bekanntlich internationalen Usancen. So stellte die WHO im Vorfeld klar: „Jeder Impfstoff muss natürlich alle Versuchsreihen und Tests durchlaufen, bevor er genehmigt und ausgeliefert wird.“ Es gebe klare Richtlinien für die Entwicklung von Impfstoffen.

Eine reguläre Zulassung ohne die umfangreichen Daten aus einer Phase-III-Prüfung mit mindestens mehreren Tausend Probanden erscheine riskant, erklärte auch Professor Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI).

Kritik an der Zulassung ohne vorliegende Sicherheits- und Immunogenitätsdaten kam am Dienstag von einer Reihe Beobachtern. „Die Zulassung eines Impfstoffs ohne die entscheidende dritte Testreihe halte ich für ein hochriskantes Experiment am Menschen“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) Dr. Klaus Reinhard der „Rheinischen Post“ (Mittwochsausgabe).

Reinhardt: „Unverantwortlich!“

Es dränge sich der Eindruck auf, dass es sich um eine populistische Maßnahme eines autoritär regierten Staates handele, der der Weltgemeinschaft seine wissenschaftliche Leistungsfähigkeit demonstrieren möchte, so Reinhardt. „Es ist unverantwortlich, ganze Bevölkerungsgruppen bereits in diesem Stadium der Entwicklung zu impfen.“

„Es ist ganz wichtig, dass man auf jeden Fall einen sicheren Impfstoff einsetzt und auch weiß, wo möglicherweise Nebenwirkungen liegen“, sagte auch Professor Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM), der Deutschen Presse-Agentur.

Sollte sich ein Impfstoff als weniger effektiv herausstellen, bestehe die Gefahr, dass es zu „gegenteiligen Effekten“ komme – etwa einer Impfmüdigkeit in der Bevölkerung. Dies sei zuletzt etwa bei einem Impfstoff gegen das Dengue-Fieber auf den Philippinen der Fall gewesen.

„Sie bringen ihre Bevölkerung in Gefahr“

„Die Bevölkerung hatte da zu Recht kein Vertrauen mehr in den Impfstoff und sich wie Versuchskaninchen gefühlt“, sagte Schmidt-Chanasit. Durch den Vertrauensverlust sei dann die Impfbereitschaft insgesamt zurückgegangen – etwa gegen Polio oder Masern.

Kritik an dem Vorpreschen Russlands kam auch aus den USA. „Niemand weiß, ob es sicher ist oder ob es funktioniert. Sie bringen die Mitarbeiter im Gesundheitswesen und ihre Bevölkerung in Gefahr“, schrieb der österreichische Mikrobiologe und Virologe Professor Florian Krammer, der an der New Yorker Icahn School of Medicine at Mount Sinai unterrichtet, bei Twitter.

Der Mediziner und frühere Chef der US-Arzneimittelbehörde FDA, Dr. Scott Gottlieb, sagte dem US-Sender CNBC: „Aktuell würde ich ihn (den Impfstoff, Anm.) nicht nehmen, ganz sicher nicht außerhalb einer klinischen Versuchsreihe.“ (dpa/nös)

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