Problemfall demografischer Wandel

Wohnortnahe geriatrische Versorgung bis 2050 etablieren

Wie können ältere Menschen in Zukunft gut versorgt werden? Auf einer Fachtagung wurde zum Beispiel die Forderung nach einem dichten Netz von geriatrischen Rehazentren laut.

Von Petra Zieler Veröffentlicht:
Senioren sollen dank Training so lange als möglich eigenständig bleiben.

Senioren sollen dank Training so lange als möglich eigenständig bleiben.

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SCHÖNEBECK. Alle 30 Kilometer ein ambulantes geriatrisches Rehazentrum. Das zumindest fordern bundesweit agierende Geriatrie-Experten. Bis 2050 soll die Zahl der Pflegebedürftigen auf fünf Millionen ansteigen. Pflegekosten: rund 50 Milliarden Euro.

„Ich wundere mich, wie gelassen die Politik dem demografischen Wandel zusieht“, so Dr. Burkhard John, Hausarzt, Geriater und Vorstand der KV Sachsen-Anhalt (KVSA). „Wir müssen jetzt die Weichen stellen, um die kommenden Herausforderungen meistern zu können“, forderte er während einer vom Kompetenzzentrum Soziale Innovation Sachsen-Anhalt organisierten Fachtagung.

Geladen waren Experten aus Bayern, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Unter dem Motto „Lieber daheim als im Heim“ diskutierten sie Chancen zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit.

„Wir sind das Land des langen Lebens“, meinte Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne etwas launig. „Mit der demografischen Entwicklung (deutschlandweit höchster Altersdurchschnitt) ist Sachsen-Anhalt Vorreiter für andere Bundesländer.“ Innovative Lösungen seien gefragt. Beispiel integrierte Versorgungsformen, auf die gerade viele ältere Menschen angewiesen seien.

Doch dazu müssten flächendeckend sektorale Grenzen überwunden werden. Dies wolle Grimm-Benne im geplanten Landeskrankenhausgesetz berücksichtigen. „Wir haben in Sachsen-Anhalt die Schwester Agnes aus der bundesweiten Taufe gehoben. Wir sollten auch bei der guten Vor-Ort-Versorgung älterer Menschen Zeichen setzen.“

Alltagskompetenzen trainieren

In Schönebeck, zugleich Wohnort der Ministerin, gibt es dafür bereits etliche gute Beispiele. John hatte vor mehr als 20 Jahren gemeinsam mit Kollegen und unterstützt von der Landes-AOK einen ambulanten geriatrischen Rehakomplex etabliert. Ärzte, Therapeuten, Pflegende arbeiten Hand in Hand, um Alltagskompetenzen zu trainieren und zu fördern. Ziel ist, die oftmals multimorbiden Patienten so zu stabilisieren, dass sie weiterhin in ihren eigenen vier Wänden leben können.

2002 hat die städtische Wohnungsgesellschaft Schönebeck begonnen, alternative Wohnformen für ältere Mieter zu schaffen. Derzeit sind über 50 Prozent der Mieter Rentner und immer mehr interessieren sich für die mittlerweile 13 selbst organisierten Wohngruppen, in denen es neben eigenen Wohnbereichen großzügige Gemeinschaftsareale gibt. Ein Pflegedienst kann je nach Bedarf angefordert werden.

Mehr ambulante Rehabilitation

Das mit 40 Plätzen und etwa 450 Patienten pro Jahr größte und wohl auch älteste ambulante geriatrische Rehabilitationszentrum heißt Casana und ist im baden-württembergischen Mannheim beheimatet. Arzt und Manager Dr. Oliver Haarmann verfolgt die Vision, dass die ambulante Rehabilitation im Alter bis 2050 Standard ist und die pflegeabhängige Zeit deutlich verkürzen wird. 95 Prozent seiner Patienten werden bereits heute von Hausärzten zugewiesen (anderswo meist von Kliniken).

„Nur Vertragsärzte“, sagt er, „sind in der Lage, Reha frühzeitig zu signalisieren und damit Krankenhauseinweisungen zu verhindern.“ Casana konnte 2007 übrigens als bundesweit erste Einrichtung einen Vertrag nach SGB V mit allen gesetzlichen Krankenkassen abschließen.

Doch warum lassen sich so gute Beispiele so schwer flächendeckend durchsetzen, zumal in Studien bereits die Effektivität geriatrischer Komplexbehandlungen nachgewiesen wurde? In Schönebeck waren sich die Experten von KBV, dem Bundesverband geriatrischer Schwerpunktpraxen (BUGES) und dem Bundesverband Geriatrie einig, „Rehabilitation vor Pflege“ und „ambulant vor stationär“ braucht ein engeres Miteinander aller Akteure.

Bestehende Strukturen müssten gestärkt, neue geschaffen werden. Ihre Forderung fassten sie in den Schönebecker Thesen zur intensivierten geriatrischen Versorgung zusammen. Ziel ist eine vernetzte und abgestufte geriatrische Versorgungsstruktur ambulant – teilstationär – stationär – flächendeckend.

Zwar werden ältere und hochbetagte Patienten in hoher Qualität und (noch) flächendeckend von Hausärzten versorgt. Aber die komplexe Behandlung geriatrischer Patienten mit deutlich eingeschränkter Alltagskompetenz müsse einem ganzheitlichen, integrativen Ansatz folgen – von der Prävention bis zur Rehabilitation. Dafür bedürfe es allerdings dringend einer Änderung im Sozialgesetzbuch.

Der Anspruch auf eine wohnortnahe, intensivierte geriatrische Versorgung im therapeutischen Team sollte dort genau wie im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung verankert werden.

Die Experten schätzen, das bundesweit rund 1500 geriatrische Schwerpunktpraxen (Kostenvolumen etwa 750 Millionen Euro) gebraucht werden, um die derzeitige Unter- bzw. Fehlversorgung zu stoppen bzw. umzukehren.

Ich wundere mich, wie gelassen die Politik dem demografischen Wandel zusieht.

Dr. Burkhard John Vorstandsvorsitzender der KV Sachsen-Anhalt

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