60-jähriger Ingenieur wird Arzt

Viele Wege führen zum Arztberuf. Einen sehr ungewöhnlichen hat Dr. Mohammed Reza Ghalamkarizadeh gewählt: Mit 60 Jahren wird er jetzt Arbeitsmediziner in Weiterbildung - die Erfüllung eines Traums.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Ghalamkarizadeh: "Viele Kliniken machen einen schweren Fehler: Sie sprechen zu wenig mit ihren Mitarbeitern."

Ghalamkarizadeh: "Viele Kliniken machen einen schweren Fehler: Sie sprechen zu wenig mit ihren Mitarbeitern."

© Dirk Schnack

HAMBURG. Seinen Kindheitstraum wird Dr. Mohammed Reza Ghalamkarizadeh nicht mehr verwirklichen. Kinderchirurg wollte er mit 14 Jahren werden.

Als er im gleichen Alter ohne Abschluss von der Realschule flog, waren die Voraussetzungen zur Erreichung des Ziels schon recht ungünstig. Arzt wurde der gebürtige Perser schon noch - aber vorher Diplom-Ingenieur und Kaufmann.

Auf seinem Umweg zur Medizin war er 20 Jahre Geschäftsführer der Heiland-Gruppe, sanierte kurz vor und während des Medizinstudiums marode Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen. Die Bandbreite reichte von der Medizintechnik über Werkzeugtechnik bis zum Speditionsgewerbe.

Mit jetzt 60 Jahren hat Ghalamkarizadeh gerade mit seiner Weiterbildung zum Facharzt für Arbeitsmedizin begonnen.

Ob er die beenden wird, ist bei seinem bewegten Leben nicht selbstverständlich - vielleicht reizt zwischendurch ja doch noch eine andere große Herausforderung.

"Für die kurative Medizin braucht man viel Erfahrung, die werde ich wohl nicht mehr sammeln können. Deshalb gehe ich in die präventive Medizin." Vom Problem über die Prozesse zur Lösung: das war für Ghalamkarizadeh immer selbstverständlich, auch wenn die Hürden hoch waren.

Die Erfahrungen aus der Industrie sind Gold wert

Erst als er mit 14 von der Realschule in Hamburg abgehen musste, erfuhr er, dass er für ein Medizinstudium das Abitur braucht. Sein 1955 aus Persien nach Deutschland gekommener Vater verschaffte ihm an einer anderen Schule einen Platz, Mohammed nahm die Schule plötzlich ernst.

Zum allgemeinen Abitur reichte es nicht, aber mit der Fachhochschulreife konnte er Medizin- und Umwelttechnik studieren. Als junger Diplom-Ingenieur rutschte er in die Medizintechnikbranche.

Hier wurde er Geschäftsführer eines Unternehmens, das sich in einer heiklen wirtschaftlichen Lage befand. Ghalamkarizadeh entdeckte, dass er ein Gespür für Prozesse, Zahlen und wirtschaftliche Zusammenhänge hat.

Er brachte die Firma zurück in die Erfolgsspur, stieg weiter auf. Als Gesellschafter einer Berliner Tochter der Heiland-Gruppe eröffnete sich ein neuer Markt, als die Mauer fiel. Nicht nur sein Unternehmen profitierte davon, dass er in praktisch jedem Bezirkskrankenhaus moderne Geräte verkaufte.

"Es war auch menschlich eine großartige Erfahrung. Die Ärzte in der damaligen DDR waren sehr offen und gastfreundlich, ich bin oft eingeladen worden und habe viele Nächte auf den Sofas in ihren Wohnzimmern geschlafen", erinnert sich Ghalamkarizadeh.

Nebenbei bildete er sich kontinuierlich in Arbeits- und Steuerrecht weiter, war schließlich ein gefragter Fachmann bei Firmen, die aus wirtschaftlichen Notlagen befreit werden mussten.

Medizin und Ökonomie, das schließt sich nicht aus

Ghalamkarizadeh hat dabei viele wertvolle Erfahrungen gesammelt - nicht immer gute. Die Speditionsbranche hat ihm nicht gefallen: "Es wird nicht nur mit harten Bandagen gekämpft, es wird auch in Vulgärsprache verhandelt - nicht mein Fall", sagt das Multitalent.

Neuen Herausforderungen ist er in seinem Berufsleben aber nie ausgewichen. Als er, vom Inhaber beauftragt, das von ihm geführte Ärztebedarfs-Unternehmen Ende der 90er Jahre an eine Firma in den USA verkaufte, blieb er nach erfolgter Übergabe noch ein Jahr.

Gute Erinnerungen hat er daran aber nicht: "Amerikanische Firmen arbeiten kapitalorientiert, ich arbeite mitarbeiterorientiert."

Das vermisst er auch bei manchen Firmen im deutschen Gesundheitswesen. Besonders Universitätskliniken mit ihrem reichen Schatz an Mitarbeitern und deren Know-how, hält Ghalamkarizadeh für reizvoll in der Unternehmensführung.

"Dort wird viel falsch gemacht. Häufig wird kaputt gespart, das vorhandene Wissen liegt brach. Es wird zu wenig mit ihnen gesprochen, obwohl die Mitarbeiter das höchste Potenzial für Verbesserungen zur Verfügung stellen könnten. Das wäre viel günstiger als die teuren externen Berater, deren Prozessanalysen die sozialen und emotionalen Prozesse einer Klinik nicht darstellen können."

Damit seine Erfahrungen nicht brach liegen, wird sich der Weiterbildungsassistent in einem frisch von der Ärztekammer Schleswig-Holstein eingerichteten Ausschuss für Medizin und Ökonomie engagieren.

Alte Studenten - nicht einfach

An der Schnittstelle seiner alten und neuen Tätigkeit fühlt sich Ghalamkarizadeh wohl. Dass er überhaupt noch Arzt werden konnte, verdankt er auch seinem erfolgreichen Berufsleben in der Wirtschaft.

Mit 51 Jahren konnte er sich eine Auszeit gönnen und in Ruhe überlegen, was seine nächste Herausforderung sein könnte.

Sein Kindheitstraum war noch immer präsent - und mit Fachhochschulreife und abgeschlossenem Studium bekam er einen Studienplatz. Dem medizinischen Lehrpersonal gilt sein besonderer Dank für die Geduld, mit der sie ihn behandelt haben: "Es ist nicht immer einfach mit einem so alten gestandenen Medizinstudenten."

Nun strebt er den Facharzt für Arbeitsmedizin an - ein Fachgebiet, dem nach seiner Ansicht im Studium etwas mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden könnte.

Ob er den in der üblichen Zeit ablegen wird, hängt auch von den Herausforderungen ab, die ihn bis dahin noch zu weiteren beruflichen Umwegen verleiten könnten.

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