Arzneimittelversorgung

EU-Rechnungshof mahnt bessere Koordination gegen Lieferengpässe an

Produktausfällen im Arzneimittelmarkt ließe sich wirkungsvoller gegensteuern, wenn die europäische Arzneimittelagentur EMA entsprechend aufmunitioniert würde.

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Mangellage? In Sachen Arzneimittelversorgung beklagen europäische Marktbeobachter kontraproduktive Kleinstaaterei.

Mangellage? In Sachen Arzneimittelversorgung beklagen europäische Marktbeobachter kontraproduktive Kleinstaaterei.

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Luxemburg. Arzneimittelengpässe sind europaweit ein Problem, das in den Griff zu bekommen den Brüsseler Institutionen trotz mannigfaltiger Anstrengungen noch nicht gelingt. Insbesondere der regulatorisch fragmentierte Binnenmarkt und ein ungenügender Informationsfluss von den Herstellern zur Arzneimittelagentur EMA erweisen sich einem neuen Report des Europäischen Rechnungshofs zufolge als hinderlich für ein besseres Engpassmanagement.

Ein „wirksames System zur Behebung eines kritischen Medikamentenmangels“, so das ernüchternde Fazit der Behörde, sei auf EU-Ebene „nicht vorhanden“.

Laut Bericht wurden in den beiden unmittelbar zurückliegenden Jahren die EU-weit bislang meisten kritischen Medikamentenengpässe registriert. Als „kritisch“ ist ein Produktausfall definiert, „wenn es in einem Land keine geeigneten Alternativen gibt und der Mangel nur mit Hilfe der EU beseitigt werden kann“.

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Von Anfang 2022 bis Oktober 2024 sei für 136 Arzneimittel eine derart angespannte Versorgungslage zu verzeichnen gewesen. Besonders stark betroffen waren etwa Belgien, Frankreich, Spanien oder Portugal. Während aus der Bundesrepublik in allen drei Berichtsjahren jeweils weniger als zwei kritische Engpässe gemeldet wurden.

Die EMA habe in der Vergangenheit und insbesondere während der Corona-Pandemie „durch Koordinierung dazu beigetragen, die Auswirkungen von Engpässen zu verringern“. Allerdings besitze die Agentur nach wie vor kein Mandat, die Mitgliedstaaten „auch jenseits von Gesundheitskrisen zu unterstützen“. Vor allem aber werde sie über Nachschubprobleme von der Industrie „häufig zu spät und nur unvollständig informiert“.

Engpässe meistens zu spät gemeldet

Gemäß Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (Richtlinie 2001/83/EG), heißt es zur Erläuterung, „erwartet die Kommission von der Industrie, dass sie Engpässe mindestens zwei Monate im Voraus den Regulierungsbehörden, d. h. der EMA für die 1.458 zentral zugelassenen Arzneimittel und den zuständigen nationalen Behörden für alle Arzneimittel, meldet“.

Die Realität sieht anders aus: 2024 hatten von 1.070 Arzneimittelfirmen rund elf Prozent einen drohenden Engpass mit zwei bis sechsmonatigem Vorlauf bei der EMA angezeigt. Ein Drittel (31 Prozent) kam dem nur kurzfristig, mit weniger als zwei Monaten Vorlauf nach. 5,3 Prozent der Unternehmen waren erst am Tag des Ereignisses willens oder in der Lage, den Marktausfall bekannt zu machen – und über die Hälfte (51 Prozent) erst nach dessen Eintritt.

Dabei sei es auch vorgekommen, dass die EMA über kritische Engpässe gar nicht in Kenntnis gesetzt wurde. Was unter anderem darin seinen Grund haben könnte, mutmaßt der Rechnungshof, „dass einige Mitgliedstaaten mit der Auslegung der Richtlinie durch die Kommission, wonach die Industrie Engpässe melden muss, nicht einverstanden sind“.

Zudem fehlten sowohl der EMA als auch der Kommission Sanktionsinstrumente, mit denen sich die Industrie bewegen ließe, ihre Meldepflicht einzuhalten. Zwar sähen nationale Meldepflichten in 18 von 30 Ländern des europäischen Wirtschaftsraums Sanktionen für den Fall vor, dass die Engpassmitteilung in Richtung EU unterbleibt. Doch ausweislich einer Studie aus 2024 hätten nur acht EWR-Länder diese Vorschrift auch tatsächlich angewendet.

Bereitstellungspflicht nachschärfen

Zusätzlich erschwert werde ein innereuropäisches Engpassmanagement durch den „zersplitterten Binnenmarkt“. Nicht nur, dass die meisten gebräuchlichen Arzneimittel nur national zugelassen sind, seien selbst viele zentral zugelassene Produkte „nicht in allen Ländern erhältlich“. Von Land zu Land unterschiedliche Produktaufmachungen trügen ebenfalls dazu bei, im Falle eines nationalen Engpasses nicht einfach Ware grenzüberschreitend umverteilen zu können.

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Kurzfristige Handlungsempfehlungen des Rechnungshofes: Die Europäische Arzneimittelagentur EMA sollte „eine zentrale Arzneimitteldatenbank und eine zentrale Meldeplattform“ mit Verfügbarkeitsinformationen zu sämtlichen in der EU zugelassenen Produkten führen – klassifiziert nach nationalem und EU-weitem Versorgungsrang einschließlich einer Dokumentation möglicher Schwachstellen in der Lieferkette sowie Produktalternativen.

Zudem müsse die im Gemeinschaftskodex enthaltene Bereitstellungspflicht der Industrie (Artikel 81 der Richtlinie 2001/83/EG), die bislang „in der Praxis nicht viel genützt“ habe, nachgeschärft und geprüft werden, „inwieweit die Koordinierung nationaler Bevorratungsanforderungen notwendig und machbar ist“. Um den Arzneimittel-Binnenmarkt durchlässiger zu machen, hätte die Kommission unter anderem darauf hinzuwirken, „die Einheitlichkeit von Arzneimittelverpackungen innerhalb der EU zu verbessern, z. B. in Bezug auf Bezeichnungen, Packungsgrößen und Kennzeichnungsanforderungen“. (cw)

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