Kommentar

Ein neuer Zentralismus

Gesundheitsminister Spahn will den Bundesbehörden BfArM und PEI mehr Macht bei Medizinprodukten geben. Gegen diesen neuen „Zentralismus“ braucht es schon gute Argumente.

Wolfgang van den BerghVon Wolfgang van den Bergh Veröffentlicht:

Erinnern Sie sich? Vor wenigen Wochen ging es noch um die Sicherstellung der Versorgung mit Medizinprodukten. Engpässe drohten, weil es europaweit nicht genügend Benannte Stellen gibt, die die Zulassung nach neuem EU-Recht vornehmen können.

Die Zeit drängt, weil die EU-Verordnung, im Jahre 2017 beschlossen, zum 26. Mai 2020 auch in Deutschland gilt. Gesundheitsminister Spahn hat sich in den vergangenen Monaten immer wieder bei seinen 27 Kollegen dafür eingesetzt, eine europaweite Übergangsregelung zu vereinbaren. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille.

Die andere Seite ist, dass Spahn den Zeitpunkt nutzt, um mit seinem Medizinprodukte-Anpassungsgesetz-EU auch die Verantwortlichkeiten neu zu definieren. Bundes- vor Landeskompetenz, lautet die Devise. Und damit wird er reüssieren können. Immerhin geht es um Fragen der Sicherheit, für die bislang die Länder zuständig waren. Es braucht gute Gründe, gegen einen solchen „Zentralismus“ zu argumentieren.

BfArM und PEI übernehmen damit eine große Verantwortung. Zusammen mit den neuen Aufgaben aus dem GSAV und den Überlegungen im DVG wird sich der Fokus verlagern – weg von den Ländern und vom GBA hin zu den beiden Instituten in Bonn und Langen.

Lesen Sie dazu auch: Gesetz vorgelegt: Spahn nimmt Medizinprodukte strenger unter die Lupe

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Kommentare
Franz Kettenbaum 09.09.201915:12 Uhr

Eine nicht durchdachte Verordnung über Medizinprodukte

Als im April 2017 die Verordnung 2017/745 (MDR) beschlossen wurde, haben viel Abgeordnete noch das Werk als den ganz großen Wurf zur Verbesserung der Versorgungssicherheit mit Medizinprodukten unter Förderung der Innovationsfreudigkeit gewürdigt.
Jetzt zeigt sich mehr und mehr, dass die Genehmigungspraxis weitgehend außer Acht gelassen worden war:

In der MDR ist nicht vorgesehen, dass

a) sich die Zahl der Benannten Stellen drastisch reduziert hat;
b) sich im gleichen Zeitraum der Aufwand der Benannten Stellen Stellen verdoppelt hat (ebenso die Kosten für die künftige Zertifizierung);
c) immer mehr aktuelle Benannte Stellen den Antrag auf Benennung nach der MDR zurückziehen, sodass sich eine Reihe von Firmen gegenwärtig neue Zertifizierer suchen müssen (jüngstes Beispiel: ecm, Aachen);
d) die (noch) vorhandenen Benannten Stellen bereits derart überlastet sind, dass sie auf absehbare Zeit keine neuen Kunden mehr aufnehmen;
e) alleine die Beantragung (!) eines Überprüfung eines Herstellers oder eines seiner Produkte jetzt mindestens 2 Monate dauert;
f) dass zum jetzigen Zeitpunkt erst 4 (!) Stellen eine Benennung erhalten haben, aber eine Unternehmens-Zertifizierung bis zum 25.5.2020 erfolgreich abgeschlossen sein muss;
g) dass viele Hersteller von chirurgischen Instrumenten die Zertifizierungsfrist zum 26.5.2020 aus den vorgenannten Gründen überhaupt nicht einhalten können und daher ihre Produkte ab diesem Tag nicht mehr legal verkauft werden können;
h) die Änderung einfachster Medizinprodukte (z.B. eines Bohrer) künftig Kosten in 5- bis 6-stelliger Höhe nach sich zieht;
i) Implantate für seltene Fraktur-Typen unter der MDR nicht neu zertifiziert werden, da sich die Dokumentations- und Zertifizierungskosten nicht mehr amortisieren werden ...

Die Liste könnten wir noch beliebig fortsetzten.

Zusammenfassend kann aber jetzt bereits folgendes festgestellt werden:
Alle Medizinprodukte werden teurer - und zwar erheblich!
Neue Medizinprodukte wird es weniger geben - und zwar deutlich weniger.
viele wichtige Detailverbesserungen an bestehenden Produkten werden aus Kostengründen künftig unterlassen.
Innovative Start-Ups im Bereich der Medizinprodukte wird es wesentlich weniger gegeben, denn der Kapitalbedarf für Neuentwicklungen hat sich jetzt vervielfacht.
Es gibt dann halt eben nur noch "bewährte" Produkte.

Leidtragender wird der Patient sein. Aber auch die Ärzte werden bald die Versorgungsengpässe zu spüren bekommen.
Und die Europäische Kommission? Die ist anderweitig beschäftigt.

Franz Kettenbaum,
Sachverständiger für Medizinprodukte
und Zertifizierungsfragen.

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