Krebstherapie ohne Regress: Der feine Unterschied bei Mistelpräparaten

Ein aktuelles Urteil hilft Ärzten, die Krebspatienten anthroposophische Mistelpräparate auf Kassenrezept verordnen.

Von Frank Stebner Veröffentlicht:

Die Arzneimittelrichtlinie (AM-RL) ist für Vertragsärzte bei der Verordnung per Kassenrezept eine wichtige und verbindliche Orientierung. Sie konkretisiert das gesetzlich geregelte Wirtschaftlichkeitsgebot. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat sich mit der Richtlinie bemüht, eindeutige Regelungen zu treffen. Manchmal ist das gelungen, etwa beim Ausschluss von Arzneimitteln, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen (Paragraf 14 Absatz 2 AM-RL mit Wirkstoff- und Präparatliste in Anlage II).

Was geht auf Kassenrezept, was nicht? Das steht in den Arzneimittelrichtlinien. © emil umdorf / imago

Was geht auf Kassenrezept, was nicht? Das steht in den Arzneimittelrichtlinien. © emil umdorf / imago

© emil umdorf / imago

In anderen Fällen sind Fragen offen geblieben, so bei der Verordnung anthroposophischer Mistelpräparate in der adjuvanten Krebstherapie (Paragrafen 5 Absatz 3 und 12 Absatz 6 sowie Nr. 32 Anlage I der AM-RL).

Von Patienten oder Ärzten angerufene Sozialgerichte sprechen Urteile, die eine Klärung streitiger Fragen bringen können. Manchmal profitieren Vertragsärzte auch indirekt von Gerichtsentscheidungen, wie durch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 11.11.2009).

Geklagt hatte hier der GBA gegen eine aufsichtsrechtliche Maßnahme des Bundesgesundheitsministeriums. Eine Änderung der alten Arzneimittelrichtlinie wurde durch das Ministerium gestoppt. Der GBA wollte die Verordnungsfähigkeit anthroposophischer Mistel-Arzneimittel, von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen, auf die palliative Therapie beschränken. Dies gelang nicht.

Die Änderung, so das LSG, würde gegen höherrangiges Recht verstoßen und sei insgesamt nicht geeignet, die GKV-Verordnungsfähigkeit von anthroposophischen Arzneimitteln festzulegen. In der Begründung heißt es weiter, die beabsichtigte Ergänzung würde zu einer inhaltlichen Widersprüchlichkeit der AM-RL führen. Damit finden nach diesem Urteil die Anwendungsvoraussetzungen für die phytotherapeutischen Mistelpräparate - "in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität" - keine Anwendung für die anthroposophischen Mistelpräparate.

Für Vertragsärzte, die Mistelpräparate per Kassenrezept verordnen, ist das Urteil eine Regressprophylaxe. Die bisherige Beurteilung des GBA und verschiedener Krankenkassen ist danach unzutreffend. Die phytotherapeutische Mistel ist auf die palliative Therapie beschränkt, die anthroposophische Mistel kann zusätzlich auch in der adjuvanten Krebstherapie verordnungsfähig sein.

Gegen das Urteil ist Nichtzulassungsbeschwerde beim BSG eingelegt worden. Dass das Bundessozialgericht die Sache zur Entscheidung annimmt, ist eher unwahrscheinlich. Wie auch immer, das LSG hat Recht gesprochen und die umfangreichen Urteilsgründe sind eine wichtige Orientierung und im Ernstfall Verteidigung für Vertragsärzte, die anthroposophische Mistel-Arzneimittel per Kassenrezept verordnen. Az.: L 11 KA 101/06, Gründe abrufbar unter www.justiz.nrw.de

... und so steht es in der Richtlinie

AM-RL, Paragraf 12, Abs. 6: Für die in der Anlage I aufgeführten Indikationsgebiete kann (...) der (...) Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnen, sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete nach Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist.

Anlage I der AM-RL, Nr. 32: Mistel-Präparate, parenteral, auf Mistellektin normiert, nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität.

Dr. Frank A. Stebner ist Fachanwalt für Medizinrecht in Salzgitter.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Statistisches Bundesamt

Beschäftigte arbeiten 2026 2,4 Arbeitstage mehr

Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Therapie

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Medizinischer Infusions-Tropf mit buntem Hintergrund

© Trsakaoe / stock.adobe.com

Hochdosis-Therapie

Vitamin C bei Infektionen und Long-COVID

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Maximale Vitamin-C-Blutspiegel nach oraler (blau) und parenteraler (orange) Tagesdosis-Gabe.

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Infusion

Parenterale Gabe erzielt hohe Plasmakonzentrationen an Vitamin C

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: FIB-4 1,3: numerische 26%ige Risikoreduktion der 3-Punkt-MACE durch Semaglutid 2,4mg

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [17]

Kardiovaskuläre, renale und hepatische Komorbiditäten

Therapie der Adipositas – mehr als Gewichtsabnahme

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novo Nordisk Pharma GmbH, Mainz
SCD-PROTECT-Studie-- Frühe Phase nach Diagnose einer Herzinsuffizienz – deutlich höheres Risiko für den plötzlichen Herztod als in der chronischen Phase.

© Zoll CMS

SCD-Schutz in früher HF-Phase

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: ZOLL CMS GmbH, Köln
Durvalumab im Real-World-Vergleich

© Springer Medizin Verlag

ED-SCLC

Durvalumab im Real-World-Vergleich

Sonderbericht | Beauftragt und finanziert durch: AstraZeneca GmbH, Hamburg
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Kopfschmerzen

Migräne: Welche Therapie bei älteren Patienten möglich ist

10 Fragen, 10 Antworten

Ausgeschlafen trotz Schichtdienst: Wie das klappen kann

Lesetipps
Stethoskop auf Geldmünzen

© oppoh / stock.adobe.com / Generated by AI

EBM-Abrechnung 2026

Vorhaltepauschale 2.0: Bei 10 Kriterien ist für jeden was dabei

Großer Andrang am Quartalsanfang? Mit der Ersatzbescheinigung könnten sich vor allem Menschen mit chronischen Erkrankungen den Weg in die Praxis sparen.

© Picture-Factory / stock.adobe.com

Neues Verfahren mit Potenzial

Das bringt die elektronische Ersatzbescheinigung den Praxen