Telemedizin

Stotter-Therapie im virtuellen Raum

Geschätzt über 800.000 Bundesbürger stottern. Viele von ihnen ziehen sich komplett zurück, weil sie Ablehnung fürchten. Ein Ausweg: Therapie-Methoden, bei denen man zunächst zu Hause sprechen übt – online.

Von Jonas-Erik Schmidt Veröffentlicht:
Eine Mitarbeiterin der Kasseler Stottertherapie demonstriert eine Software für Sprechübungen (Archiv).

Eine Mitarbeiterin der Kasseler Stottertherapie demonstriert eine Software für Sprechübungen (Archiv).

© picture alliance / dpa

KÖLN. Therapeut und Patient können sich statt in einer Praxis auch im virtuellen Raum treffen, um Stottern erfolgreich zu behandeln. Alexander Wolff von Gudenberg glaubt daran, dass eine digitale Stotter-Therapie mit der analogen mindestens mithalten kann und diese sinnvoll ergänzt. Der Institutsleiter der Kasseler Stottertherapie gehört in seiner Branche zu den Vorreitern der Online-Medizin.

Treffpunkt für die Therapie ist das Internet. Oder der Therapeut aus Fleisch und Blut wird sogar ganz durch ein Programm ersetzt – das ist die neueste Entwicklung. "Die Online-Methode kann zum Beispiel für Patienten attraktiv sein, die sich für ihr Stottern schämen. Die Eingangshürde ist in diesem Fall niedriger", sagt von Gudenberg.

Die Scham spielt eine große Rolle beim Stottern. Geschätzt stottern mehr als 800.000 Menschen in Deutschland. Beim Rest der Bevölkerung ist das Wissen über die Sprechstörung aber mitunter überschaubar. "Stottern erscheint ihnen kurios, ja zuweilen lächerlich", schreibt der Psychologe Johannes von Tiling.

Mr. Bean zählt auch dazu

Was auch damit zusammenhängt, dass sich viele Betroffene aus Angst vor Ablehnung zurückziehen. Bekannte Stotterer wie George VI. kann man an zwei Händen abzählen. Rowan Atkinson ("Mr. Bean") gehört dazu, ebenso Bruce Willis. Auch die hauchende Sprechweise von Marilyn Monroe soll Ergebnis eines entsprechenden Trainings gewesen sein.

Alles, was dabei hilft, die Scham zu überwinden, ist daher wichtig. Der Welttag des Stotterns am kommenden Sonntag soll für das Thema sensibilisieren. In Bahnhöfen sollen Spots laufen, die gängige Vorurteile über Stotternde aufgreifen. "Wir wollen zeigen: Man sieht niemandem an, ob er stottert oder nicht, es hat nichts mit Umfeld, Bildung oder Herkunft zu tun", sagt Martina Wiesmann von der Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe (BVSS). Die Botschaft: "Ich sag's auf meine Weise!"

Der Online-Ansatz von von Gudenberg gehört zu den neueren Methoden. Die Patienten werden dabei von einem Therapeuten per Internet-Schalte betreut. "In dem einen virtuellen Raum übt beispielsweise ein Patient eine Rede, in einem anderen ein anderer Telefonieren. Der Therapeut geht von virtuellem Raum zu virtuellen Raum", erklärt er.

Der Vorteil: Die womöglich niedrigere Einstiegshürde. Und mehr Flexibilität. "Momentan haben wir eine Patientin in Moskau, die unter anderem von einer Therapeutin von uns betreut wird, die nach Brasilien umgezogen ist", sagt von Gudenberg. Sein erster reiner Online-Patient kam auch aus dem Ausland, ein Bankbeamter aus Kuwait. Das Verfahren wird nach Angaben der Kasseler Stottertherapie nun auch zunehmend von den Kassen bezahlt. Dennoch ist sie bislang noch eine Nische.

100 reine Online-Patienten

Reine Online-Patienten hatte von Gudenberg bislang etwa 100. "Es könnte sein, das viele Patienten noch denken, dass bei einer Online-Therapie kein intensiver Austausch mit dem Therapeuten möglich ist", sagt er. Das könne er aber keinesfalls bestätigen. "Ein Beispiel: Bei unserem kuwaitischen Patienten hätte nicht viel gefehlt, und er hätte unserer Cheftherapeutin einen Heiratsantrag gemacht."

Von Gudenberg will online nun noch einen Schritt weiter gehen: Zu einer Software ohne Therapeuten auf der anderen Seite. "Das heißt: Man kann seine Stimme aufnehmen und von einem Algorithmus analysieren lassen. Das ersetzt quasi das therapeutische Feedback." Zwei Drittel des Projekts seien geschafft. Er ist damit in die USA gegangen. "Weil Deutschland in diesem Bereich sehr reguliert ist. Man findet nicht so schnell eine Kasse, die zahlen würde. Auf der anderen Seite gibt es keine Selbstzahler-Mentalität", sagt er. Das sei in anderen Ländern anders.(dpa)

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