Unfallversicherer hat nur einmal das Wort

Einem Unfallopfer darf der Versicherer nur einmal vorschreiben, bei welchem Arzt die Begutachtung zu erfolgen hat. Bei Widerspruch hat der Versicherte ein Mitspracherecht.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Verletzt? Über Spätfolgen wird manchmal jahrelang gestritten. Die Auswahl des Gutachters kann entscheidend sein.
© Jaimie Duplass / fotolia.com

Verletzt? Über Spätfolgen wird manchmal jahrelang gestritten. Die Auswahl des Gutachters kann entscheidend sein. © Jaimie Duplass / fotolia.com

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KARLSRUHE. Zweifelt ein Unfallversicherter den ihm zugesprochenen Invaliditätsgrad an, muss er sich nicht erneut von dem Arzt untersuchen lassen, den der Versicherer für die Erstuntersuchung bestimmt hat. Der Versicherer kann die Weigerung nicht als mangelnde Mitwirkung auslegen, die das Unternehmen von weiteren Leistungen befreit, heißt es in einem inzwischen schriftlich veröffentlichten Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe.

Der Versicherte war im Februar 2000 aus dreieinhalb Metern Höhe von einer Leiter gestürzt und trug dabei mehrere Wirbelbrüche davon. Die Versicherung setzte den Invaliditätsgrad auf 30 Prozent fest und zahlte 24 000 Euro. Nach Überzeugung des Versicherten war er aber "inkompetent", unvollständig und unter Manipulation von Röntgenbildern untersucht worden. Er meint, seine Invalidität betrage 80 Prozent und fordert daher weitere 65 000 Euro. Um die Sache zu prüfen, wollte ihn die Versicherung erneut in die Unfallklinik schicken, die ihn auch eingangs untersucht hatte. Den dort angesetzten Termin sagte der Versicherte ab.

Auch der Hinweis auf die vertraglichen Mitwirkungspflichten konnte den Versicherten nicht erneut in die Klinik bewegen. Daher meinte schließlich der Versicherer, er sei nunmehr von weiteren Leistungen frei.

Doch das ist falsch, urteilte der BGH. Zwar habe der Versicherte eine höhere Erstbemessung wie auch eine Neubemessung seines Invaliditätsgrades verlangt, beides sei aber "rechtlich eigenständig zu betrachten".

Bezüglich der Erstbemessung habe der Versicherer von seinem Recht, einen Gutachter zu benennen, bereits Gebrauch gemacht. Das Recht des Versicherten, dagegen mit eigenen Gutachten und vor Gericht vorzugehen, bleibe davon unbenommen.

Eine Neubemessung habe nur der Versicherte verlangt, diese liege daher auch nur in seinem Interesse. Die Weigerung, sich erneut in der Ausgangsklinik untersuchen zu lassen, komme daher lediglich einem "Verzicht auf die Neubemessung gleich". Erst später sichtbare Unfallfolgen könnten daher nicht mehr berücksichtigt werden, bezüglich der Erstbemessung bleibe die Weigerung aber "sanktionslos".

Das hatte auch die Außenstelle des Oberlandesgerichts München in Augsburg so gesehen und dem Versicherten eine höhere Erstbemessung der Invalidität von 40 Prozent bescheinigt. Das zugrunde liegende Gutachten ist nach Überzeugung des BGH aber ebenfalls unzulänglich, sodass sich nun die Vorinstanz nochmals mit dem Streit befassen muss.

Das Karlsruher Urteil bezieht sich auf die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen "AUB 88". Die aktuellen "AUB 2008/II" sind zwar sprachlich komplett neu gefasst, in den streitigen Punkten inhaltlich aber vergleichbar.

Az.: IV ZR 181/07

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