Niedersachsen

Wenn MFA ihre Kollegen selbst aussuchen

In einer Emdener Hausarztpraxis entscheiden die Medizinischen Fachangestellten über den MFA-Nachwuchs; Ärzte reden erst später mit – eine Strategie, die Bewerber und Personal anscheinend zufriedenstellt.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Gute Erfolgsaussichten für die Kandidatin? Wer sich in der Praxis von Annette Püschel und Dr. Jörg Weißmann als MFA bewirbt, wird von potenziellen Kolleginnen zu einem Gespräch eingeladen. Die Ärzte werden erst viel später in den Recruiting-Prozess eingebunden.

Gute Erfolgsaussichten für die Kandidatin? Wer sich in der Praxis von Annette Püschel und Dr. Jörg Weißmann als MFA bewirbt, wird von potenziellen Kolleginnen zu einem Gespräch eingeladen. Die Ärzte werden erst viel später in den Recruiting-Prozess eingebunden.

© Gina Sanders / stock.adobe.com

Emden. In der Hausarztpraxis von Annette Püschel und Dr. Jörg Weißmann im Ostfriesischen Emden sorgen die Medizinischen Fachangestellten für den MFA-Nachwuchs . Stellenausschreibung, Bewerbungsgespräche und die Auswahl von neuen Auszubildenden liegen seit Jahresbeginn in Händen der MFA.

„Wir rufen bei der Agentur für Arbeit an, geben die Stellenanzeige auf und posten die Stelle auch auf unseren privaten Instagram- und Facebook-Accounts“, berichtet die leitende MFA der Praxis, Insa Grensemann. Liegen die Bewerbungen auf dem Tisch, verabreden Grensemann und ihre Kollegin Lena Eckardt die Vorstellungsgespräche, die sie auch selber führen und legen die Termine für´s Probearbeiten fest. Den Bewerberinnen falle meistens ein Stein vom Herzen, wenn sie erfahren, dass beim Bewerbungsgespräch keine Ärzte dabei sind, sagt Grensemann. Am Ende treffen die MFA in Absprache mit den Ärzten die Entscheidung. „Ungefähr 70 Prozent der Entscheidung liegt bei uns“, sagt Grensemann der „Ärzte Zeitung“.

Know-how kommt aus dem Praxisalltag

Das Know-how zu Bewerbungsgesprächen und der passenden Auswahl bringen die beiden MFA aus ihrem Praxisalltag mit. Zusätzlich haben sie sich notwendiges Wissen aus vorhergehenden Bewerbungsgesprächen abgeguckt, bei denen sie beratend gefragt waren. Weitere Anregungen holten sie sich von der Website www.mfa-niedersachsen.de.

„Wir wissen, was eine Bewerberin mitbringen muss“, berichtet Grensemann: „Das sind vor allem Teamfähigkeit und die Gabe mit unseren vor allem älteren Patienten gut umzugehen“, ergänzt Eckardt. Auch ein gutes Händchen für die manchmal genervten Patienten braucht eine MFA. „Gerade die älteren Patientinnen und Patienten haben oft Schmerzen und sind entsprechend ungeduldig und beschweren sich dann. Da brauchen wir als MFA ein dickes Fell“, sagt Eckardt.

„Da wir ein eingespieltes Team sind, schauen wir bei der „Neuen“ natürlich auch, ob sie zu uns passt“, betonen beide. Der Vorteil des Verfahrens liegt auf der Hand: Wer, wenn nicht das Team selber, könnte entscheiden, wer gut in die Kolleginnenschaft passt? Das sieht auch Weißmann so. Schließlich würden die MFA vor allem mit den MFA zusammenarbeiten. Wenn die Fachangestellten selber ihre Kolleginnen aussuchen können, mache das den Arbeitsplatz deutlich attraktiver für begabte MFA – für die Praxen ein wichtiger Aspekt. Weißmann spricht gar von einer „Wohltat“ für seine Praxis.

MFA beliebtester Ausbildungsberuf

Laut Niedersächsischer Ärztekammer (ÄKN) liegt die Zahl der MFA-Auszubildenden im Land zwar relativ stabil bei etwa 4600 pro Jahr. Und bundesweit gehörte das Berufsbild der MFA laut Statistischem Bundesamt zu den beliebtesten Ausbildungsberufen bei Frauen. Es herrscht also kein Mangel. Aber es gibt trotzdem weniger Bewerberinnen. „Während „früher“ in der Regel mehrere Initiativbewerbungen pro Ausbildungsplatz eingingen, sind die Bemühungen, um überhaupt geeignete Auszubildende zu finden vor allem bei niedergelassenen Praxen heute groß“, so die ÄKN auf Anfrage. Gerade im ambulanten Sektor sei es deshalb schwer geworden, geeignete Bewerberinnen und Bewerber zu finden, die auch langfristig bleiben, so die ÄKN. Grund genug, den MFAs mehr Einfluss in der Nachwuchsgewinnung zu geben.

Allerdings ist das Modell so einfach nicht nachzubauen, wie Praxismitinhaber Weißmann berichtet. „Denn Voraussetzung ist, dass sich die Teammitglieder gut verstehen“, so Weißmann. „Und das ist bei uns glücklicherweise der Fall! Das Modell ist darum nur dort übertragbar, wo die Stimmung und Arbeitsatmosphäre gut sind und respektvoll miteinander umgegangen wird.“ Das Emder Team verfüge denn auch über eine „funktionierende Hierarchie im besten Sinne“, wie Weißmann sagt. Dass dies nicht für jedes MFA-Team selbstverständlich ist, hat auch Weißmann in seiner jahrzehntelangen Arbeit in Emden erfahren. Auch in seiner Praxis gab es zerstrittene Teams und Fraktionsbildungen und manchmal musste eine Mitarbeiterin gehen. „Aber selbst, wenn man sich von einer Mitarbeiterin trennen muss, soll das respektvoll geschehen“, sagt der Hausarzt.

Wo das Miteinander indessen funktioniert, sei das Modell eine Alternative. Allen, die es machen wollen wie die MFA in der Emder Praxis raten Grensemann und Eckardt, nicht zu sehr eine feste Vorstellung davon zu haben, wie die neue Kollegin sein soll. Lieber ein paar Gespräche mehr führen und dann erst entscheiden. Diese Zeit sollte man sich lassen, meinen die beiden MFA aus Emden: „Denn wir wissen, dass wir die Bewerberinnen am Schluss realistischer beurteilen.“

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