Herzinfarkt

Bessere Chancen durch Fernkonditionierung?

Bei Patienten mit STEMI kann eine auf dem Weg zur Klinik durchgeführte ischämische Konditionierung möglicherweise dazu beitragen, das Zeitfenster bis zur Koronarintervention zu erweitern. Das postuliert ein Team aus Dänemark.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:

AARHUS. Vom Eingehen des Notrufs in der Leitstelle bis zu dem Moment, wo der Herzkatheter die Läsion passiert, sollten bei Patienten mit ST-Streckenhebungsinfarkt (STEMI) höchstens 120 Minuten vergehen. - Soweit die in den Europäischen Leitlinien festgeschriebene Theorie. In praxi lässt sich dieses Zeitfenster allerdings nicht unbedingt immer einhalten.

Kasper Pryds und seine Kollegen von der Universität Aarhus in Dänemark haben nun eine Methode untersucht, die dazu beitragen soll, das Myokard im Falle eines STEMI vor ischämiebedingten Schäden zu bewahren, auch wenn es bis zur perkutanen Koronarintervention (PCI) einmal länger dauern sollte: Nach dem Prinzip der ischämischen Fernkonditionierung (remote ischaemic conditioning, RIC) soll die künstlich erzeugte passagere Minderperfusion eines Organs bewirken, dass ein anderes Organ (in diesem Fall der Herzmuskel) eine Ischämie-Phase besser toleriert (Heart 2016, online 24. Februar).

Passagere Minderperfusion greift

Tatsächlich finden sich in der randomisierten Studie Hinweise, dass dieser Trick funktioniert. Bei Patienten, die nur eine PCI erhielten, wirkte sich jede Verzögerung über 120 Minuten hinaus wie zu erwarten signifikant negativ auf den durch die Revaskularisierung geretteten Myokardanteil (angegeben als Myocardial Salvage Index, MSI) aus. Kam die Fernkonditionierung zum Einsatz, war der Zeitfaktor dagegen deutlich weniger relevant.

An der Studie nahmen insgesamt 333 STEMI-Patienten teil. Alle waren mit Symptomen eines Herzinfarkts notfallmäßig in die Klinik transportiert worden, um dort eine Koronarintervention zu erhalten. Noch im Rettungswagen erhielt die eine Hälfte (n = 166) eine RIC.

Dabei wurde mithilfe einer Blutdruckmanschette der eine Oberarm intermittierend über jeweils fünf Minuten abgedrückt und wieder perfundiert. Pro Patient wurden vier solcher Zyklen durchgeführt.

Bei den Teilnehmern der Vergleichsgruppe wurde auf die Fernkonditionierung verzichtet. Alle Patienten bekamen vor der PCI zusätzlich ASS (300 mg oral oder i.v.), Clopidogrel (600 mg oral) und unfraktioniertes Heparin (10.000 IU i.v.).

Um den MSI, also den durch die Revaskularisierung geretteten Myokardanteil, zu ermitteln, hatten die Forscher vor der PCI sowie 30 Tage danach das Ausmaß der Schädigung des Herzmuskels mittels SPECT (Single Photon Emission CT) gemessen. Ergebnisse hierzu sowie Messwerte zur Zeitverzögerung lagen für 129 Patienten vor. Auf deren Daten beruht die retrospektive Analyse.

Bei 21 Patienten aus der "Nur-PCI-Gruppe" hatte es länger als 120 Minuten bis zur Intervention gedauert. In der RIC-Gruppe waren es 28 Patienten.

Dabei hatte die Verzögerung bei den RIC-Patienten keinen signifikanten Einfluss auf den MSI: Bei einer Dauer von über 120 Minuten lag dieser bei 0,74, bei kürzerer Dauer bei 0,75 (ein MSI von 1 entspricht einem maximalen Effekt der Reperfusion, ein Wert von 0 keinem Effekt). Anders bei den Patienten ohne Konditionierung: Hier war der MSI in Fällen mit Zeitverzögerung deutlich niedriger (0,42) als ohne (0,70) (p = 0,03).

Auch in einer Multiregressionsanalyse, in der Faktoren wie Rauchen und Gefäßzustand vor der Intervention berücksichtigt wurden, schnitt die RIC-Gruppe bei längeren Abständen (> 120 Minuten) deutlich besser ab als die Vergleichsgruppe; der Unterschied im MSI betrug 0,22 (p = 0,006). Auch in dieser Analyse sahen die Forscher bei Zeiten = 120 Minuten keinen deutlichen Unterschied zwischen den Gruppen (p = 0,64).

Negativer Effekt abgeschwächt

Mithilfe der RIC lasse sich der negative Effekt der Zeitverzögerung auf die Rettung des Myokardgewebes abschwächen, so das Resümee der Forscher. Dabei nahm der kardioprotektive Effekt offenbar zu, je mehr sich die rettende Prozedur verzögerte.

Wie Pryds und sein Team berichten, war jede zusätzliche Minute, die bis zur Reperfusionstherapie verging, mit einem Abfall im MSI um 0,001 verbunden. Jede zusätzliche Stunde führte zu einer Verminderung des durch die PCI "geretteten" Myokardanteils um 6 Prozent (bezogen auf das gesamte vom Infarkt betroffene Gebiet).

Mit der RIC konnten trotz Zeitverzögerung vergleichbare Ausmaße an Myokardgewebe gerettet werden wie bei alleiniger PCI ohne Verzögerung.

Für die Autoren ist dies ein Hinweis darauf, dass sich das Zeitfenster bis zur PCI durch diese Strategie ausweiten lässt. Wie die Forscher betonen, führte die Anwendung des Verfahrens selbst zu keiner Verzögerung.

Da es sich um die Post-hoc-Analyse einer randomisierten Studie handelt, die zudem bei der Zahl der Teilnehmer in den Subgruppen schwächelt, sind die Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen.

Bei herzchirurgischen Eingriffen hat die RIC in großen Studien (ERICCA, RIPCHeart) enttäuscht. Ob der Methode bei den STEMI-Patienten das Gleiche blüht, wenn sie in einem größeren Kollektiv getestet wird, bleibt abzuwarten.

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