Vermeintliche Folgen eines Zeckenstiches

Fehldiagnose Lyme-Borreliose: Was sich alles dahinter verbirgt

Der ärztliche Verdacht auf eine chronische Borreliose lässt sich häufig nicht bestätigen. US-Ärzte haben untersucht, wo die Langzeitbeschwerden in solchen Fällen wirklich herrühren – und ein erstaunlich breites Spektrum an Erkrankungen gefunden.

Von Beate Schumacher Veröffentlicht:
Darstellung eines Zeckenstiches. Immer wieder werden Symptome in Folge eines solchen Ereignisses als Lyme-Borreliose fehlgedeutet. Die Zecke als mögliche Überträgerin von Borrelien ist aber nicht immer schuld!

Darstellung eines Zeckenstiches. Immer wieder werden Symptome in Folge eines solchen Ereignisses als Lyme-Borreliose fehlgedeutet. Die Zecke als mögliche Überträgerin von Borrelien ist aber nicht immer schuld!

© SciePro / stock.adobe.com

Das Wichtigste in Kürze

Frage: Welche Erkrankungen werden als chronische Lyme-Borreliose fehldiagnostiziert?

Antwort: Bei etwa zwei Drittel der Patienten mit unzutreffender Lyme-Diagnose bestehen andere Erkrankungen, die die Beschwerden verursachen. Besonders häufig sind das Angst/Depression, Fibromyalgie und chronisches Fatigue-Syndrom, Migräne und Arthrose, seltener auch Erkrankungen wie MS oder Krebs.

Bedeutung: Die Überdiagnose der chronischen Borreliose kann dazu führen, dass behandelbare Erkrankungen verzögert erkannt werden.

Einschränkung: Retrospektive Analyse von Krankenakten.

Baltimore. Die 47-Jährige, die seit zwei Jahren an Fatigue, Schlafstörungen und wandernden Muskel- und Gelenkschmerzen leidet, wird nach einem positiven Borrelia-burgdorferi-ELISA 21 Tage lang mit Doxycyclin behandelt. Eine Besserung bleibt aus, vielmehr berichtet die Frau nun auch noch über ein Kribbeln im Gesicht. Die Patientin wird daher zur Abklärung einer Neuroborreliose überwiesen; ELISA und Entzündungsmarker sind jetzt jedoch negativ. Stattdessen wird als Ursache der Beschwerden eine Fibromyalgie festgestellt. Durch Aufklärung, mehrere Kontrolltermine, Schlafberatung und ein Sportprogramm gelingt es, die Beschwerden der Frau deutlich zu reduzieren.

Dies ist ein einzelner Fall, über den Ärzte von der Johns Hopkins University in Baltimore im American Journal of Medicine berichten, aber er steht beispielhaft für viele andere, bei denen chronische Beschwerden irrtümlich einer Infektion mit B. burgdorferi zugeschrieben werden (Am J Med 2021, online 30. November).

Diagnose- und Therapieverzögerung

Anhand von Krankenakten ihrer Klinik haben die Ärzte um Takaaki Kobayashi festgestellt, dass die fehldiagnostizierten Beschwerden in der Mehrzahl der Fälle auf andere Erkrankungen zurückzuführen waren. Angesichts der Breite der tatsächlichen Diagnosen befürchten sie, „dass die Lyme-Erkrankung häufig als Sündenbock für unklare Probleme herangezogen wird“. Dies könne dazu führen, dass schwerwiegende Krankheiten verzögert erkannt und behandelt würden. Hinzu kämen unter Umständen Komplikationen infolge unnötiger Antibiotikatherapien.

Von 1261 Patienten, die im Mittel seit über zwei Jahren an Borreliose-verdächtigen Beschwerden litten und zur Abklärung an die Klinik überwiesen worden waren, hatten 1061 (84 Prozent) keine Evidenz für eine aktive oder frühere Lyme-Erkrankung. Von ihnen erhielten wiederum 609, also rund zwei Drittel, eine andere Diagnose, die die vermeintlichen Borreliosesymptome erklärte. Bei etwa 60 Prozent der Patienten handelte es sich um eine bis dahin unerkannte Erkrankung, bei ungefähr jedem Fünften bezog sich die Diagnose auf ein bekanntes Problem und bei ähnlich vielen Patienten auf beides.

139 unterschiedliche Diagnosen

Insgesamt wurden 139 unterschiedliche Diagnosen gestellt. Infektionen machten nur 3 Prozent davon aus. Die häufigsten Diagnosen waren

Angst / Depression (21 Prozent),

Fibromyalgie (11 Prozent),

chronisches Fatigue-Syndrom (7 Prozent),

Migräne (7 Prozent),

Arthrose (6 Prozent) und

Schlafstörungen (5 Prozent).

Unter den selteneren Ursachen fanden sich einige schwerwiegende Erkrankungen wie Multiple Sklerose (11 Patienten), Krebs (8), Parkinson (8), Sarkoidose (4) und Amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Bei 0,7 Prozent der Patienten hatten durch die Fehldiagnose ausgelöste Antibiotikaverordnungen Komplikationen wie Clostridioides-difficile-Infektionen verursacht.

„Sorgen der Patienten anerkennen!“

„Weil chronische Beschwerden für Ärzte wie Patienten frustrierend sind, kann es attraktiv sein und eine Erleichterung darstellen, eine behandelbare Diagnose wie die Lyme-Borreliose anbieten zu können.“ Darin sehen die Studienautoren einen Grund dafür, dass „die Überdiagnose von Lyme-Borreliose gerade bei Patienten mit anhaltenden Beschwerden ein erhebliches Problem“ darstellt. Bei solchen herausfordernden Patienten müssten gründliche Untersuchungen und differenzialdiagnostische Überlegungen Routine sein.

Damit die Patienten nicht ihr Heil in der alternativen Medizin suchten, sei es wichtig, nicht nur die Fehldiagnose Borreliose zu korrigieren. Patienten, die glauben, dass eine chronische Lyme-Borreliose ihre Symptome erklärt, brauchten außer einer umfassenden Abklärung „eine ehrliche Diskussion, die ihre Sorgen anerkennt“, so die US-Mediziner.

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