Hintergrund

Gentests via Internet - und ratlos bleibt der Nutzer

Man braucht bloß eine Speichelprobe einzuschicken und erhält eine Fülle genetischer Daten - so preisen Firmen im Internet Konsumententests an. Doch schlimmstenfalls sind die Ergebnisse eine ständige Sorgenquelle, bestenfalls sind sie schwer zu interpretieren.

Von Angela Speth Veröffentlicht:
Der gläserne Mensch - Gentests ebnen den Weg dahin.

Der gläserne Mensch - Gentests ebnen den Weg dahin.

© Andrea Danti / fotolia.com

"Ein Abstrich-Set mit Gebrauchsanweisungen erhalten Sie per Post" "Gentest Krebsrisiko: Angebot 99 Euro": So werben Firmen, die übers Internet genetische Untersuchungen offerieren, Direct-To-Consumer- oder kurz DTC-Tests genannt.

Eine Speichelprobe genügt, und schon bekommen die Kunden frei Haus ein Sammelsurium von Ergebnissen. Ob sie die Anlage für eine Mendelsche Erbkrankheit haben.

Ob ihr Risiko für multifaktoriell bedingte Krankheiten wie Diabetes, Herzinfarkt, Entzündungen, Tumoren oder Psychosen erhöht ist. Wie gut sie bestimmte Medikamente vertragen. Ob sie gegen Umweltsubstanzen wie Schwermetalle empfindlich sind.

All das geschieht unter dem Mäntelchen der Vorhersage: Wer (noch) gesund ist, wird daraufhin analysiert, ob er erkranken könnte.

Der Direktor der US-amerikanischen National Institutes of Health, Francis S. Collins, sehe in solchen Tests "eine äußerst nutzbringende und wünschenswerte Revolution der Medizin", berichtete Professor Thomas Cremer bei einem Fortbildungsforum der Bundesärztekammer in Berlin.

Zudem suggerierten die beträchtlichen Kosten eine hohe Bedeutung, sagte der Humangenetiker aus München.

Zweifellos haben Gentests generell ihr Gutes: Sie sind die Grundlage einer personalisierten Medizin, etwa indem die Ergebnisse bis hin zur gesamten DNA-Sequenz in elektronischen Patientenakten gespeichert werden. Dann kann der Arzt Vorbeugung, Diagnostik und Therapie maßgeschneidert daran anpassen.

Speziell DTC-Tests sind etwa interessant für Paare, die Kinder möchten: So können sie ermitteln, ob sie die Anlage für eine der 1100 derzeit bekannten autosomal rezessiven Störungen tragen.

Zwar sind die Partner selbst gesund, wenn nur eines der beiden Gene mutiert ist. Für das Kind aber besteht eine Gefahr, falls beide Eltern Defekte haben und sie vererben. Mendelsche Erbkrankheiten machen ein Fünftel der Todesursachen bei Kindern aus und sind Anlass für zehn Prozent der Einweisungen in Kinderkliniken, erinnerte Cremer.

Wird beim Embryo eine riskante Konstellation festgestellt, können Eltern bei schweren unbehandelbaren Störungen einen Schwangerschaftsabbruch erwägen. Das große Aber: Wie gravierend die Erkrankung tatsächlich ausfällt, lässt sich selbst bei identischer Mutation kaum vorhersagen; Symptome können sogar ganz ausbleiben.

Allgemein sind über 90 Prozent aller Mutationen harmlos, beim Rest kommt es auf die Durchschlagskraft (Penetranz) an. Und selbst bei starker Ausprägung ermöglichen oft Therapien ein gutes Leben, gab Cremer zu bedenken.

Die Suche nach Genvarianten, die mit multifaktoriellen Krankheiten verknüpft sind, ist ebenfalls zwiespältig: Einerseits birgt sie Chancen: Wer erfährt, dass er etwa für Diabetes anfällig ist, könnte auf einen gesunden Lebensstil umschwenken.

Oder durch Vorsorge-Untersuchungen die Erkrankung früh erkennen und behandeln lassen. Oder seine Lebensplanung danach ausrichten.

Andererseits: Zu einer Manifestation tragen auch Umwelteinflüsse bei und vor allem das Chromatin um die DNA: Diese epigenetischen Mechanismen bestimmen, ob Gene an- oder abgeschaltet werden. Weiter bedenklich: Selbst wer einen günstigen Bescheid erhält, hat ja keine Garantie, dass er gesund bleibt, könnte sich aber in falscher Sicherheit wiegen.

Umgekehrt seien viele, die Risikogene haben, doch außerstande, die Krankheit zu verhindern, so Cremer. Sich gesund ernähren, Sport treiben, nicht rauchen - das schaffen sie nicht, leben mit schlechtem Gewissen oder machen sich Sorgen, die eventuell überflüssig sind.

Das Resümee des Humangenetikers: "Angesichts dieser Einschränkungen ist es erstaunlich, mit welchem Optimismus genetische Vorsorgeuntersuchungen propagiert werden."

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Tiefe Angst oder irrige Sorglosigkeit

Ihr Newsletter zum Thema
Lesen sie auch
Mehr zum Thema

Zwei Phase-III-Studien gescheitert

Semaglutid wirkt nicht gegen Alzheimer

Diabetes mellitus

Bempedoinsäure: Benefit für Hochrisiko-Kollektive

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Daiichi Sankyo Deutschland GmbH, München
Das könnte Sie auch interessieren
Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

© Aleksandr | colourbox.de

Fatal verkannt

Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

© polkadot - stock.adobe.com

Vitamin-B12-Mangel

Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
B12-Mangel durch PPI & Metformin

© Pixel-Shot - stock.adobe.com

Achtung Vitamin-Falle

B12-Mangel durch PPI & Metformin

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Grippeschutz in der Praxis – Jetzt reinhören!

© DG FotoStock / shutterstock

Update

Neue Podcast-Folgen

Grippeschutz in der Praxis – Jetzt reinhören!

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Herz mit aufgemalter Spritze neben Arm

© Ratana21 / shutterstock

Studie im Fokus

Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Prävention durch Influenzaimpfung?

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Junge Frau spricht mit einer Freundin im Bus

© skynesher | E+ | Geytty Images

Update

Impflücken bei Chronikern

Chronisch krank? Grippeimpfung kann Leben retten

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: Risikoreduktion durch Bempedoinsäure gegenüber Placebo in der CLEAR-Outcomes-Studie für den primären 4-Komponenten-Endpunkt (A) und den sekundären 3-Komponenten-Endpunkt (B) stratifiziert nach Diabetes-Status

© Springer Medizin Verlag

Diabetes mellitus

Bempedoinsäure: Benefit für Hochrisiko-Kollektive

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Daiichi Sankyo Deutschland GmbH, München
Mirikizumab wirksam bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

© Oleh / stock.adobe.com

Zielgerichtete Interleukin-23p19-Inhibition

Mirikizumab wirksam bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Lilly Deutschland GmbH, Bad Homburg v.d.H.

Ist das AMNOG bereit für HIV-Innovationen?

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Gilead Sciences GmbH, Martinsried
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Update der Studie EPIsoDE

Psilocybin hält therapieresistente Depressionen ein Jahr lang in Schach

Lesetipps
Warnschild Grippewelle

© nmann77 / stock.adobe.com

ARE in Grafiken

RKI: Grippewelle deutet sich an

Fünf Menschen im Wartezimmer.

© Tyler Olson / stock.adobe.com

Einteilung in fünf Gruppen

Diabetes: Risiken für Komorbiditäten vom Subtyp abhängig

Im Krankenhaus wird der Patient unter Aufsicht eines Radiologen einer CT-Untersuchung unterzogen.

© Valerii Apetroaiei / stock.adobe.com

Vereinfachter Diagnose-Algorithmus

Lungenembolie mit weniger Bildgebung sicher ausschließen