Gastbeitrag

"Ode" an das Stethoskop

Viele Kardiologen sind nicht fähig, die richtige Diagnose zu fällen, nachdem sie Herzgeräusche abgehört haben, weil sie sich nur auf bildgebende Verfahren verlassen, heißt es in einem Fachblatt. Ist das gute alte Stethoskop also nur noch ein dekoratives Statussymbol in der Kitteltasche? Unser Gastautor mag sich mit diesem Gedanken nicht anfreunden.

Von von Professor Dr. Thomas Klingenheben Veröffentlicht:
Ein Arzt, der das Stethoskop noch zum Abhören verwendet.

Ein Arzt, der das Stethoskop noch zum Abhören verwendet.

© Yuri Arcurs / Hemera / Thinkstock

BONN. In der November-Ausgabe des Fachblatts "CardioNews" griff Frau Dr. Ulrike Fortmüller eine Studie auf, in der die Untersucher herausfanden, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten der kardialen Auskultation bei Kardiologen (sic!) "alarmierend gering" sind. Untersucht wurde dies bei rund 1100 Kardiologen, die bei einer Kardiologentagung in den USA freiwillig an der Erhebung teilnahmen.

Der Gastautor

Professor Dr. Thomas Klingenheben ist Kardiologe und arbeitet in der Praxis für Kardiologie & Ambulante Herzkatheter-Kooperation Bonn.

Zunächst einmal lohnt es sich, das Poster im Original zu lesen. Dass in der Untersuchung nur amerikanische Kollegen getestet wurden, wie im Artikel suggeriert, geht daraus gar nicht hervor.

Beschwichtigend soll man wohl zwischen den Zeilen lesen: Das gibt's bei uns in Westeuropa nicht. Außerdem sei die Studie mit einem Bias belegt, denn es haben ja nur Freiwillige daran teilgenommen - das formulieren übrigens die Autoren der Studie ebenso.

Aber was heißt "nur"? Wenn doch schon freiwillig teilnehmende Herzspezialisten ein so schlechtes Ergebnis zeigen, wie wird es dann erst bei wahllos herausgegriffenen Ärzten sein?

Und tatsächlich: Eine Studie bei Krankenhausinternisten in USA, Kanada und England ergab korrekte Auskultationsbefunde sogar nur bei 22, 26, und 20 Prozent der Kollegen.

Aber, so im Artikel weiter, "tröstlich für Herzpatienten" sei doch, dass der moderne Kardiologe "nicht als Virtuose der Auskultation gefordert" sei, sondern dass er "technisch anspruchsvollere (sic!) Untersuchungsmethoden beherrscht".

Einspruch, verehrte Frau Kollegin! Was soll denn daran tröstlich sein? Tröstlich für Herzpatienten wäre vielmehr, wenn diese an einen Kardiologen gerieten, der noch alle fünf Sinne beieinander hat - und der ihn im Zweifel vielleicht auch einmal vor einer (noch) nicht indizierten Intervention bewahrte.

Hätte man nur gleich auskultiert ...

Beispiel gefällig? Eine 58-jährige Patientin erreicht eine Notaufnahme wegen Luftnot. Wegen diskreter EKG-Veränderungen entschließt man sich direkt zum Herzkatheter, das Labor war gerade frei, und da hat sie dann auch gleich und gern zugestimmt.

Man behandelt "erfolgreich" eine 60 Prozent (sic!) Stenose im Ramus circumflexus mit einem Stent, nach 48 Stunden ist die Patientin wieder draußen. Ist doch toll gelaufen, oder? Superkurze Liegedauer, Interventions-trächtige DRG, der Krankenhausträger kann zufrieden sein.

Zwei Wochen später - als Eilfall - zum niedergelassenen Kardiologen, die Luftnot sei immer noch da, klagt sie. Na sowas, denkt der und zückt sein - na? - genau: Stethoskop. Das Geräusch haut ihm fast die Trommelfelle weg! Der Ultraschall bestätigt nur noch die Diagnose, welche bereits durch das wenige Sekunden dauernde Abhören korrekt gestellt wurde.

Nun wird die Patientin noch einmal katheterisiert, diesmal allerdings mit auf der Auskultation beruhenden richtigen Indikationsstellung, und nach weiteren drei Wochen ist die hochgradige Mitralklappeninsuffizienz erfolgreich durch den Herzchirurgen saniert.

Auf explizite Nachfrage schwor die Patientin übrigens Stein und Bein, dass in der erstversorgenden Einrichtung eine körperliche Untersuchung mit dem Stethoskop nicht erfolgt war.

Ein extremes Einzelbeispiel? - schon möglich. Aber der Schreiber dieser Zeilen hat mit seinesgleichen kommuniziert, und da kommen allerlei schräge Dinge ans Licht.

Wie beispielsweise Zitate von Kollegen, deren Aufgabe es eigentlich ist, den medizinischen Nachwuchs auszubilden, wie "Stethoskop - benutz‘ ich nicht mehr, bei den guten Bildern meines Echogerätes", oder "Ich trag's nur noch in der Tasche, damit der Patient mich ernst nimmt" oder "Zeig mir eine Studie in der steht, dass die Benutzung des Stethoskops prognostische Relevanz hat".

Der Hausarzt als Retter?

Aber Herr Niederer (NZZ) hat die Lösung für das Dilemma fehlender "clinical skills" bei Kardiologen parat: Der Hausarzt möge es doch richten, er sieht schließlich den Patienten zuerst. Denn, so Niederer, "nur so ist eine sinnvolle Arbeitsteilung in der Medizin möglich. Nicht die Kardiologen, sondern die Hausärzte müssen die Champions im Auskultieren sein".

Ja, das verstehe ich, denkt der geneigte Leser nun, der NZZ-Autor meint jene zukünftigen Hausärzte, die während ihrer (inzwischen ja verkürzten) Facharztlaufbahn von denjenigen Kardiologen ausgebildet werden, von denen wir ja - wenn wir bis jetzt aufgepasst haben! - nun wissen, dass sie selbst nur zu 20 bis 50 Prozent noch der Auskultation fähig sind.

Hallo ? - geht's noch? Doch Obacht, es kommt noch doller. Denn wer "bei jedem harmlosen Geräusch nach dem Spezialisten ruft, der strapaziert das Gesundheitssystem unnötig". Das stimmt zwar, aber wir lernten ja soeben, dass es keinen mehr geben wird, der unseren Kollegen beibringt, das "harmlose" vom hochauffälligen Herzgeräusch zu unterscheiden.

Ich wage zu behaupten, dass zukünftig diejenigen das Gesundheitssystem unnötig strapazieren könnten, die den Segen der "technisch anspruchsvolleren Untersuchungsmethoden" unter Umgehung klinischen Sachverstands über die Patienten ausgießen.

Entgegen der allseits beklagten Entfremdung zwischen Arzt und Patient steht das Stethoskop in Ergänzung zur notwendigen apparativen Medizin für die "patientennahe Heilkunde, … in der die Zuwendung auch bildlich … die wichtigste Rolle spielt", so Werner Bartens in einem lesenswerten Artikel für die "Süddeutsche Zeitung".

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir zwischenzeitlich dazu tendieren, "Troponin-Kardiologen" und "MRT-Kardiologen" auszubilden. (Meine Oma hätte dazu früher gesagt: "das kann auch ein dressierter Aff‘…").

Wenn wir uns das als die Medizin von Morgen wünschen - ja, dann brauchen wir in der Tat das Stethoskop nicht mehr. Den Schreiber dieser Zeilen beschleicht eine angstvolle Ahnung: Wird er - einmal am achten Dezennium angelangt - von Kardiotechnokraten behandelt?

Vor einiger Zeit rief ein vor dem Ruhestand stehender niedergelassener Kollege im BNK-Chat zur Gründung einer Selbsthilfegruppe älterer Kardiologen auf, die sich in Zukunft gegenseitig behandeln könnten. Damals dachte ich, der macht nur Spaß … .

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