COVID-19-Splitter der KW 42

Zahlreiche Arzneien verpassen den Beweis der Mortalitätssenkung bei Corona

Ein bisher beispielloses „inflammatorisches Profil“ bilanzieren Wissenschaftler bei COVID-19. Sie haben dazu den Zytokin-Sturm verschiedener Erkrankungen miteinander verglichen.

Anne BäurleVon Anne Bäurle und Wolfgang GeisselWolfgang Geissel und Marco MrusekMarco Mrusek und Denis NößlerDenis Nößler Veröffentlicht:
Die Corona-Infektionszahlen steigen nun im Herbst; viele Menschen werden wieder vorsichtiger.

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© denisismagilov/stock.adobe.com

Update vom 16. Oktober

Zahlreiche Arzneien verpassen den Beweis der Mortalitätssenkung. In einer großen multizentrischen Auswertung der von der WHO geförderten SOLIDARITY-Studie konnten Lopinavir/Ritonavir, Remdesivir, Hydroxychloroquin (HCQ) und β1a-Interferon (IFN-β) keinen Effekt auf die Mortalität bei COVID-19-Patienten zeigen. In der noch nicht begutachteten Auswertung von 11.266 erwachsenen Patienten an 405 Spitälern in 30 Ländern konnten alle Wirkstoffe keinen signifikanten Effekt zeigen. Die Patienten erhielten randomisiert einen dieser Wirkstoffe oder nur Best Supportive Care. Die 28-Tages-Sterblichkeit lag gesamt bei 12 Prozent, bzw. bei 39 Prozent unter jenen Patienten, die zu Beginn der Therapie schon beatmet werden mussten. Die Ratenverhältnisse für die Mortalität lagen für Remdesivir bei 0,95 (0,81–1,11, p=050), für HCQ bei 1,19 (0,89–1,59, p=0,23), für Lopinavir/Ritonavir bei 1,00 (0,79–1,25) und für IFN-β bei 1,16 (0,96–1,39; p=0,11). Der Remdesivir-Hersteller Gilead verwies am Freitag darauf, dass die „sich abzeichnenden Daten nicht mit robusteren Datensätzen aus mehreren randomisierten, kontrollierten Studien übereinzustimmen“ scheinen. Früher Daten hatten in der Tat einen signifikanten Vorteil bei der Zeit bis zur Genesung gezeigt (im Mittel minus fünf Tage versus Standardtherapie). (medRxiv 2020.10.15.20209817).

Einen „Atlas“ der molekularen Mechanismen, mit denen die Coronaviren MERS, SARS-CoV-1 und SARS-CoV-2 ihre Wirtszelle manipulieren, hat ein Team von mehr als 200 Wissenschaftlern aus 6 Ländern erstellt. Sie hoffen, damit Ansatzpunkte für neue Medikamente gegen COVID-19 zu finden. Zwei mögliche Medikamente haben sie dabei schon im Visier: Sie fanden zwei bereits zugelassene Wirkstoffe, die in Zellkulturen Wirkung gegen alle drei Coronaviren zeigen: Psychopharmaka mit Wirkung gegen den Sigma-Liganden und den Entzündungshemmer Indometacin. Durch Analyse vorhandener Patientendaten fanden die Wissenschaftler zudem erste Hinweise darauf, dass bei COVID-19-Patienten, die diese Medikamente erhalten hatten, die Erkrankung leichter verlief (Science, online 15. Oktober).

Eine Impfung, die auf inaktivierten SARS-CoV-2-Viren basiert („BBIBP-CorV“), ist vorläufigen Phase-I/II-Ergebnissen zufolge sicher und immunogen. Der Impfstoffkandidat wurde in der chinesischen Studie zweimalig verabreicht (entweder als 4 μg- oder als 8 μg-Dosis) bei über 600 Probanden im Alter von 18 bis 80 Jahren. Antikörper seien nach Impfung von allen Studienteilnehmern gebildet worden. Allerdings habe es bei den über 60-Jährigen deutlich länger gedauert, bis Antikörper detektiert werden konnten, und zwar im Schnitt 42 Tage. Zum Vergleich: In der Altersgruppe der 18-60-Jährigen konnten bereits nach 28 Tagen Antikörper nachgewiesen werden. Zudem wurden in der Altersgruppe der über 60-Jährigen, also der hauptsächlichen Risikogruppe für schwere Verläufe von COVID-19, deutlich weniger Antikörper gebildet. Ob die Menge der Antikörper insgesamt ausreicht, um einen ausreichenden Schutz zu induzieren, wurde in der Studie noch nicht getestet – das muss nun eine weitere Untersuchung zeigen (Lancet Inf Dis 2020; online 15. Oktober).

Update vom 15. Oktober

Forscher haben eine Übersterblichkeit durch COVID-19 in 21 industrialisierten Ländern errechnet. Danach sind dort vermutlich 206.000 Menschen mehr gestorben, als es wahrscheinlich Tote ohne die SARS-CoV-2-Pandemie gegeben hätte, so die britischen Forscher. In ihrer Untersuchung berücksichtigten die Forscher Länder mit mehr als vier Millionen Einwohner im Jahr 2020 und die wöchentlich Daten zur Mortalität aus jeglichen Gründen bereitstellen – aufgeschlüsselt nach Alter und Geschlecht. Als Untersuchungszeitraum wählten sie 2015 bis Ende Mai 2020. Deutschland wurde nicht berücksichtigt. Die Exzessmortalität seit Februar 2020 errechneten die Wissenschaftler anhand des Vergleichs mit den gemittelten Sterbefällen in den Vorjahreszeiträumen. Diese verteilt sich offenbar in etwa gleich auf beide Geschlechter. England, Wales und Spanien hatten anscheinend die größte Übersterblichkeit mit zusätzlich 100 Todesfällen je 100.000 Einwohner. Das wäre in etwa ein Anstieg um relativ 37 Prozent. In Spanien betrüge der Anstieg der Todesfälle demnach relativ 38 Prozent. Den niedrigsten relativen Anstieg gab es der Untersuchung zufolge bei den Männern in Österreich (14,3 Tote mehr pro 100.000 Einwohner), der Schweiz (21,9) und Portugal (27,4 bei den Männern, 28,7 bei den Frauen) (Nat Med 2020; online 14. Oktober).

Update vom 14. Oktober

Genesene sind wohl nicht immer immun gegen eine Reinfektion. Forscher der University of Nevada berichten über den nach eigenen Angaben ersten Fall einer symptomatischen Reinfektion in den USA und bestätigen damit frühere Berichte aus anderen Ländern. Es handelt sich um einen 25-Jährigen aus Nevada, der Mitte April dieses Jahres und dann erneut Anfang Juni positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurde. Dazwischen lagen zwei negative Tests, die im Mai vorgenommen wurden. Über den Patienten schreiben die Forscher, dass er keine immunologischen Auffälligkeiten habe und nicht mit HIV infiziert sei. Die beiden Varianten von SARS-CoV-2 hätten „signifikante genetische Unterschiede“, außerdem sei die zweite Infektion schwerer als die erste verlaufen. Nach der zweiten Infektion benötigte der Patient zusätzlichen Sauerstoff in der Klinik und hatte außerdem Myalgie, Husten und Kurzatmigkeit. Die Forscher schließen nicht aus, dass es sich womöglich um eine einzige fortlaufende Infektion mit einer extrem schnellen In-vivo-Mutation des Virus handeln könnte. Eine derart hohe Mutationsgeschwindigkeit von SARS-CoV-2 sei aber bisher nicht berichtet worden. Die beschriebene Reinfektion habe Auswirkungen auf die Entwicklung einer SARS-CoV-2-Vakzine, die womöglich nicht zu einer 100-prozentigen Schutzwirkung für alle Individuen führen könne. In Anbetracht der neuen Erkenntnisse sollten Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion weiterhin von allen Personen befolgt werden, unabhängig davon, ob diese bereits eine Infektion durchgemacht haben oder nicht, schreiben die Wissenschaftler weiter (Lancet Infect Dis 2020; online 12. Oktober).

Einen Smartphone-basierten Test auf SARS-CoV-2, der Ergebnisse zu einer Infektion innerhalb von fünf Minuten liefern soll und sich der CRISPR-Technik bedient, haben Forscher der University of California vorgestellt und auf dem Preprint-Server MedRxIv veröffentlicht. An dem Projekt beteiligt ist Professor Jennifer Doudna, die vergangene Woche mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde. Der Test setzt statt auf Amplifizierung der viralen RNA wie bei einem PCR-Test auf die Restriktionsenzyme CRISPR-Cas13a. Die Enzyme spüren vordefinierte Gensequenzen auf, in diesem Fall RNA von SARS-CoV-2 in Nasenabstrichen. Der Test drückt Informationen zur festgestellten Viruslast über Fluoreszenz-Signale aus, die mit einem Smartphone mit Kamera aufgefangen und ausgelesen werden können (medRxiv 2020; online 30. September).

Update vom 13. Oktober

Offenbar geringes Infektionsrisiko für Neugeborene SARS-CoV-2-positiver Mütter: Von 101 Neugeborenen von Müttern mit bestätigter oder vermuteter perinataler SARS-CoV-2-Infektion hatten zwei ein positives Testergebnis auf das Virus, keines hatte klinische Anzeichen von COVID-19, hat eine retrospektive Kohortenanalyse einer Geburtsklinik aus New York City ergeben. Es gebe keine Anzeichen einer vertikalen Transmission des Virus bei den untersuchten Kindern, obwohl die meisten Neugeborenen den Raum mit den Müttern teilten und von ihnen gestillt wurden. 55 der Neugeborenen wurden noch weitere zwei Wochen lang beobachtet und blieben gesund. Eine zügige räumliche Trennung von Müttern und Neugeborenen während der COVID-19-Erkrankung sei in Anbetracht der Studienergebnisse nicht zwingend erforderlich, schlussfolgern die Wissenschaftler (JAMA Pediatr 2020; online 12. Oktober).

Liebe Leser, wir fassen die Corona-Studienlage nun wöchentlich zusammen. Eine Übersicht mit allen bereits veröffentlichten COVID-19-Splittern der vergangenen Wochen und Monate finden Sie hier.

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