„ÄrzteTag“-Podcast

900 Dosen AstraZeneca an einem Tag? Ein Hausarzt sagt, wie‘s geht

Niedergelassene Ärzte könnten der Turbo in der Impfkampagne sein – wenn man sie ließe. Hausärzte im Nordosten wollen jetzt liegen gebliebene AstraZeneca-Dosen verimpfen – in einem Tag im „Erlebnisdorf“. Einer der Initiatoren erklärt die Idee.

Denis NößlerVon Denis Nößler Veröffentlicht:
Wo sich sonst der „Fliegende Kuhstall“ dreht, wird jetzt geimpft: Karls Erlebnisdorf in Rövershagen.

Wo sich sonst der „Fliegende Kuhstall“ dreht, wird jetzt geimpft: Karls Erlebnisdorf in Rövershagen.

© Bernd Wüstneck / picture alliance

Wer kennt sie nicht, die Kampagne „Deutschland sucht den Impfpass“? Im Moment müsste sie eher lauten: „Deutschland sucht den Impfstoff.“ Oder mit Blick auf die Skrupel mancher Menschen Vektorvakzinen gegenüber: „Deutschland sucht die Impfwilligen.“ Im Nordosten der Republik haben sich Hausärzte deswegen jetzt etwas Besonderes ausgedacht: Sie impfen auf einem „Erdbeerhof“. Einer der Initiatoren, der Rostocker Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Thomas Maibaum, spricht im Interview über die Hintergründe.

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(Dauer: 19:17 Minuten)

Ärzte Zeitung: Herr Maibaum, Sie und Kollegen aus zwei Praxen wollen am Samstag, den 17. April in der Festscheune von „Karls Erlebnisdorf“ in Rövershagen einen AstraZenecaImpftag durchführen. Mit wie vielen Impfdosen werden Sie am Start sein?

Dr. Thomas Maibaum: Wir haben bis zu 900 Impfdosen reserviert und hoffen, dass wir mindestens 500 in den Arm bekommen.

Man kann ohne Termin kommen?

Richtig. Wir haben lange nachgedacht, ob wir Termine oder Berechtigungsscheine brauchen. Aber wir wollen ja gerade die Diskussionen über die Impfstoffe aus unseren Praxen heraushalten, sonst würden wir den kompletten Betrieb für ein, zwei Wochen lahmlegen.

Dr. Thomas Maibaum

Dr. Thomas Maibaum

© Vanessa Schiemann

Wer darf kommen? Für Vaxzevria® gibt es ja klare Empfehlungen.

Genau. Deswegen dürfen ausschließlich Leute über 60 Jahre kommen.

Wieso eigentlich Karls Erlebnisdorf, warum ausgerechnet dort?

Schon seit längerem arbeiten wir, vor allem die Kollegen aus den Praxen im Landkreis Rostock, mit Karls Erlebnisdorf zusammen. In den Frühlings- und Sommermonaten sind dort viele Erdbeerpflücker im Einsatz, um die wir uns kümmern. Und dann der Standortvorteil: Die haben eine riesengroße Fläche mit großen Hallen und die Leute haben durch ihr Eventgeschäft viel Erfahrung im Umgang mit großen Menschenansammlungen.

Klingt nach einem Paradebeispiel für Kooperation mit guten Kontakten.

Das ist wirklich ein Riesenvorteil, den wir Hausärzte vor Ort haben, wir kennen unsere Leute. Wir kooperieren mit den Bürgermeistern vor Ort, mit der Apotheke, die uns den Impfstoff aufzieht. Wir kennen uns Hausärzte untereinander, wir kennen die Spezialisten, die auch eingebunden sind. Wir haben gute Kontakte zur Kreisstelle der KV.

Mit Plakaten und Flyern werben die Ärzte für ihren „Impftag“.

Mit Plakaten und Flyern werben die Ärzte für ihren „Impftag“.

Noch einmal zum Ursprung: Warum verimpfen Sie die Dosen eigentlich nicht einfach in Ihren Praxen?

Das machen wir ja trotzdem parallel dazu. Wir haben auch bei uns genügend Ampullen von AstraZeneca, die wir etwa immobileren Patienten anbieten. Das Problem ist, dass das Impfen mit verschiedenen Impfstoffen eine erhebliche Unruhe in die Praxen bringt.

Wir haben unterschiedliche Impfabstände – bei AstraZeneca sind es zwölf Wochen, bei BioNTech sechs Wochen und bei Moderna vier bis sechs Wochen. Wir haben unterschiedliche Applikationsmengen, mal 0,5 und mal 0,3 Milliliter. Und die Impfstoffe müssen unterschiedlich lange gelagert werden bei unterschiedlichen Bedingungen.

Das ist mit wenigen Impfdosen noch relativ gut zu handhaben. Aber wenn die Zeit für die zweite Impfgabe anbricht, wird das ein sehr großes Kuddelmuddel. Dann könnten unter Umständen einige Ampullen verfallen, weil wir nicht rechtzeitig genug daran gedacht haben, die Patienten zu erinnern oder einen Hausbesuch zu planen. Aus dem Grund hatten wir uns überlegt: Lasst uns so viele Dosen wie irgend möglich aus dem täglichen Praxisbetrieb herausnehmen.

Dr. Thomas Maibaum

  • Facharzt f. Allgemeinmedizin, niedergelassen als Hausarzt in einer Gemeinschaftspraxis in Rostock Schmarl
  • Vorstandsmitglied in der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern

Sie bauen sozusagen eine zweite „Impfstraße“ für AstraZeneca auf?

Nein, nicht ganz. Wir wollen es wirklich auf zwei Termine konzentrieren. Diesen Samstag für die Erstimpfungen und dann zwölf Wochen später am 10. Juli für die zweite Gabe. Sonst würden wird das Problem ja nur externalisieren.

Sie sprechen von gut 900 Impfdosen – eine schiere Menge angesichts der Meldungen aus anderen Praxen, die gar nichts von Ihrer Apotheke erhalten haben. Wo haben Sie den ganzen Impfstoff eigentlich her?

Ich glaube, dass AstraZeneca eigentlich deutschlandweit nicht so schwierig zu bekommen ist. Es ist nur deutlich schwieriger, den Impfstoff in den Arm zu kriegen, zumindest im laufenden Praxisbetrieb. Bei uns kommt hinzu, dass der Landkreis Rostock entschieden hat, im Moment AstraZeneca nicht mehr in seinen Impfzentren zu verimpfen. Dementsprechend haben wir hier sehr viele Impfdosen übrig, die in unseren Kühlschränken zurzeit eher versauern.

Die Gefahr wäre, dass dort eine Menge Sondermüll entsteht.

Na ja, wir haben ja sechs Monate Zeit, das in den Arm zu bekommen. Aber es wäre schön, möglichst früh einen großen Boost zu schaffen. Wenn wir hier im Nordosten Rostocks einen Großteil der Leute über 60, die willig sind, damit schon jetzt versorgen können, haben wir einen gewissen Fortschritt hinsichtlich Herdenimmunität.

Mindestens 500 Leute wollen Sie impfen. Wie organisieren Sie das?

Meine Augenringe werden im Moment jedenfalls nicht kleiner, es ist tatsächlich deutlich mehr zu organisieren, als ich ursprünglich gedacht hatte. Wir kooperieren mit unserer lokalen Apotheke, die extrem toll ist. Die ziehen uns alle Impfdosen in einem separaten Bereich auf. Und sie helfen bei den Schnelltests.

Alle, die am Samstag vorbeikommen, können vor Ort einen Schnelltest erhalten. Der nächste Vorteil: Das Erlebnisdorf ist überdacht. Da ist die Wartezeit vielleicht weniger schlimm als bei den anderen Zentren, wo man unter Umständen im Freien warten muss.

Wie klappt es in Ihrer Praxis mit Bestellung + Lieferung von Corona-Vakzinen?

Und wie läuft vor Ort die Aufklärung ab?

Die Leute bekommen beim Einlass durchnummerierte Aufklärungsbögen, die sie im Wartebereich in Ruhe lesen können. Über ein Aufrufsystem rufen wir dann immer zwanzig Personen en bloc auf, die dann noch einmal als Gruppe von uns aufgeklärt werden. Aber jeder kann danach bei einem der Ärzte noch individuelle Fragen stellen.

Anschließend werden die zwanzig Personen auf drei Impfstraßen, je eine pro Praxis, mit insgesamt fünf Teams à einem Arzt und einer Schwester aufgeteilt. Dort wird dann in einzelnen Kabinen geimpft. Anschließend werden die Aufklärungsbögen kopiert. Außerdem haben wir einen Nachbeobachtungsraum und einen weiteren für mögliche Notfälle.

Fünf Teams mit jeweils zwei Personen – mit wie viel Personal sind Sie insgesamt im Einsatz?

Alles in allem werden wir mit etwa 30 Leuten an dem Tag vor Ort sein.

Stichwort Vergütung: Sie bekommen pro Impfung 20 Euro. Die Apotheke bekommt natürlich auch noch ein Fixum pro Dosis. Wird sich das unterm Strich für Sie ausgehen?

Ich habe das Glück einer wirtschaftlich sehr gut laufenden Praxis. Im schlimmsten Fall lege ich ein bisschen drauf, das wäre es mir wert. Ich denke schon, dass die schiere Masse es möglich macht, dass wir wirtschaftlich gut rauskommen. Wir zahlen natürlich auch dem Erlebnisdorf eine Aufwandsvergütung für Umbauten und das Pausencatering für die Mitarbeiter. Und unsere Mitarbeiter erhalten natürlich auch eine zusätzliche Vergütung für den Samstag.

Wir leben in einer Zeit von Abstandsgeboten und Versammlungsverboten. Und da veranstalten Sie einen Massenauflauf. Fürchten Sie nicht Ärger mit der Ordnungsbehörde?

Ich habe mich natürlich vorher bei der Gemeinde erkundigt, ob wir spezielle Anmeldungen brauchen. Das wurde dort verneint. Ich habe mich erkundigt bei dem Gesundheitsamt des Landkreises. Die Juristin hat mir zugesichert, dass sie das Projekt unterstützt und dass es keinen Grund gibt, warum ein Impftag nur in einem Zentrum oder einem Krankenhaus sein dürfte.

Juristisch ist ein gutes Stichwort. Sie sind Vertragsarzt, also schauen wir einmal in Paragraf 15a des Bundesmantelvertrags Ärzte. Dort heißt es: „Die Tätigkeit des Vertragsarztes in einer weiteren Nebenbetriebsstätte außerhalb des Vertragsarztsitzes ist zulässig, wenn sie gemäß Paragraf 24 Ärzte-ZV genehmigt worden ist.“ Und: „Jeder Ort einer weiteren Tätigkeit des Vertragsarztes ist eine Nebenbetriebsstätte.“ Das klingt, als gelte das auch für das Erlebnisdorf. Haben Sie schon mit dem Zulassungsausschuss gesprochen?

Das habe ich nach Ihrer Frage in der Tat noch getan. Am Donnerstagmittag haben wir das Plazet bekommen.

Darf man ihr Projekt auch so verstehen, dass Sie als Hausarzt zeigen wollen, dass Sie es mindestens genauso gut können wie die Impfzentren?

Absolut! Der zweite Grund ist, dass es dringend ist, möglichst viel Impfstoff in den Arm zu bekommen. Da sage ich, das probieren wir jetzt einfach. Die vielen bürokratischen Hindernisse sind ein typisch deutsches Phänomen. Warum probieren wir es denn nicht einfach mal?!

Es gibt auch Rufe aus KVen, selbst von Krankenkassen, die fordern: Schließt die Impfzentren und lasst die Hausärzte impfen! Gehen Sie mit dieser Forderung d’accord?

Ganz klares Ja. Klar, es ruckelt zurzeit in jeder Praxis etwas, aber wir bekommen von Woche zu Woche mehr Routine. Wir würden das schaffen.

Dann wünschen wir Ihnen viel Erfolg. Vielen Dank für das Gespräch!

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