5,7 Millionen Pflegebedürftige

Demografie ursächlich für hohe Pflegeprävalenz? BARMER räumt mit gängigem Narrativ auf

Die Zahl pflegebedürftiger Menschen hat sich seit 2015 fast verdoppelt, heißt es im neuen Pflegereport der BARMER. Mit der demografischen Entwicklung habe das aber nur bedingt zu tun, so die Krankenkasse.

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Blick zurück: Im Zuge der Pflegereform 2017 wurden Demenzerkrankungen stärker bei Leistungen nach SGB XI berücksichtigt.

Blick zurück: Im Zuge der Pflegereform 2017 wurden Demenzerkrankungen stärker bei Leistungen nach SGB XI berücksichtigt.

© Gabriele Rohde / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell(en))

Berlin. Deutschland bekommt graue Haare – also steigt auch die Zahl pflegebedürftiger Menschen!? Nein, diese Gleichung ist zu einfach, meldet sich jetzt die BARMER unter Verweis auf ihren neuen Pflegereport zu Wort.

Demnach hat sich die Zahl der Pflegebedürftigen von 2015 bis 2023 nahezu verdoppelt – von drei Millionen auf 5,7 Millionen Menschen. Lag der Anteil der auf Pflege angewiesenen Menschen an der Gesamtbevölkerung im Jahr 2015 bei rund 3,2 Prozent, waren es 2023 gut 6,2 Prozent.

Von diesem Zuwachs um drei Prozentpunkte mache die Alterung der Gesellschaft aber nur 0,44 Prozentpunkte aus, rechnet Studienautor Professor Heinz Rothgang vor. Entscheidender Treiber sei die Pflegereform von 2017.

PSG II: Einst gefeiert, heute verflucht?

Mit dem Pflegestärkungsgesetz (PSG) II wurden der Pflegebedürftigkeitsbegriff erweitert und die bis dato geltenden Pflegestufen durch fünf Pflegegrade ersetzt. Pflegegrad 1 wird bei geringer Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten zuerkannt. Heißt: Der Pflegebedarf ist noch relativ gering. Betroffene brauchen gelegentlich Hilfestellung im Alltag.

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Mit dem neuen Pflegebegriff wurden erstmals körperliche, kognitive und psychische Beeinträchtigungen gleichwertig erfasst bei der Begutachtung. Auf diese Weise ließ sich die wachsende Gruppe der Demenzerkrankten bei den Pflegeleistungen besser berücksichtigen. Dies wurde damals als großer Fortschritt gefeiert.

Die Ausweitung des Pflegebegriffs habe zu einem einmaligen Sprung bei der Pflegeinzidenz und zu einem linearen Anstieg bei der Prävalenz geführt, sagte Rothgang bei der Vorstellung des Reports am Donnerstag. Steigende Inzidenzen zeigten sich in Pflegegrad 1 und abgemindert in Pflegegrad 2.

Pflegegrad 1 war zuletzt in die Schusslinie geraten. Die Eingruppierung sieht Hilfsleistungen von 131 Euro im Monat vor. Zusätzlich kann einmalig eine Summe von bis zu 4.180 Euro für bauliche Umbauten beantragt werden.

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Arbeitgeberverbände halten die Unterstützung für hinfällig. Tenor: Pflegegrad 1 bringe kaum Nutzen, verursache viel Bürokratie und sei ein Haupttreiber der Kostenexplosion in der sozialen Pflegeversicherung. Sozialverbände stemmen sich gegen eine Streichung.

Straub: Erkenntnis für die Politik „brisant“

Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zukunftspakt Pflege“, die im Dezember ihre Ergebnisse vorlegen will, hat sich zum Erhalt der Pflegegrade bekannt. Gleichwohl sollen Einstufungskritierien überprüft werden.

BARMER-Chef Professor Christoph Straub sagte, Bund und Länder stünden vor einer Mammutaufgabe. Die Erkenntnis aus dem Pflegereport sei für beide Seiten brisant: So dürften aus der Arbeitsgruppe heraus keine „Vorschläge mit Mehrausgaben“ gemacht werden, soweit diese nicht unmittelbar auf die Demografie zurückgingen. „Ihr Arbeitsauftrag lässt kaum Spielraum für künftige Mehrkosten, ganz im Gegenteil.“

Um die Pflegeversicherung zu entlasten, habe der Bund die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige zu übernehmen, so Straub. Die Länder müssten die Investitionskosten der Pflegeeinrichtungen und die Pflegeausbildungskosten tragen. Dies würde zu Entlastungen bei den Eigenanteilen führen. Laut Ersatzkassenverband liegt der Eigenanteil im Pflegeheim inzwischen bei im Schnitt rund 3100 Euro pro Monat.

Unterdessen veröffentlichte der Deutsche Evangelische Verband für Altenarbeit und Pflege – unterstützt von Trägern aus dem konfessionellen Raum – einen „Brandbrief“ an Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD). „Mit wachsender Sorge beobachten wir, dass die Erosion des Solidarsystems die gesellschaftliche Akzeptanz und Legitimität der Pflegeversicherung gefährdet“, heißt es darin.

Und weiter: Das Versprechen, im Alter vor Armut und sozialer Not geschützt zu sein, drohe zur „Worthülse“ zu werden. Ein „Pflegegipfel 2026“ müsse Lösungen zur Sanierung der angeschlagenen Pflegeversicherung erarbeiten. (hom)

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