Versorgungsstudie
Hausärztemangel: Bis 2040 holt der Westen den Osten ein
Während in Ostdeutschland der Hausärztemangel bereits allgegegenwärtig ist, verschärft sich bis 2040 die Situation auch in den westdeutschen Ländern. Gezielte Nachwuchssteuerung könnte Abhilfe schaffen.
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Im Osten bereits heute oftmals ein seltenes Bild: Bis 2040 wird es aber insbesondere auch in westdeutschen Kleinstädten und auf dem Land deutlich weniger Hausärzte geben.
© Ulrich Baumgarten / picture al
Berlin. Reduzierte Arbeitszeit und Ruhestand unter den Hausärzten auf der einen und steigender Bedarf an medizinischer Versorgung einer alternden Bevölkerung auf der anderen Seite: Diese Entwicklung wird vor allem in Westdeutschland in den kommenden Jahrzehnten zu einer angespannten hausärztlichen Versorgungslage führen. Das geht aus Berechnungen des BARMER Instituts für Gesundheitssystemforschung und der Bertelsmann Stiftung hervor.
Die Expertinnen und Experten erwarten bis 2040 in den westdeutschen Bundesländern eine ähnlich angespannte Lage, wie sie heute bereits in Ostdeutschland anzutreffen ist. Insbesondere für ländliche Regionen und Kleinstädte entwickelt sich demnach ein Risiko für Unterversorgung.
Wochenarbeitszeit der Hausärzte sinkt
In den Berechnungen zur hausärztlichen Versorgung wurden erstmals kleinräumige demografische und arbeitsmarktbezogene Aspekte modelliert. Datengrundlage für die Berechnungen bilden unter anderen das Bundesarztregister und eine Befragung der Bertelsmann-Stiftung von Hausärztinnen und Hausärzten.
Im sogenannten Basisszenario kommen die Experten zum Ergebnis, dass sich die Anzahl an hausärztlichen Vollzeitäquivalenten zwischen 2024 und 2040 von 51.407 auf 45.492 reduziert. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Treiber: einerseits sinkt die Zahl der Ärzte um 1.278 Personen und andererseits reduziert sich die durchschnittliche wöchentliche Versorgungszeit um 3,3 Stunden.
Generationenwechsel unter Ärzten im Osten bereits erfolgt
Zugleich erhöhrt sich der hausärztliche Versorgungsbedarf aufgrund der demografischen Bevölkerungsentwicklung bis 2040 um drei Prozent. Regional ist das aber sehr unterschiedlich ausgeprägt: Während in Westdeutschland und in Berlin aufgrund der überalterten Gesellschaft und durch „Landflucht“ in urbane Regionen sich ein Mehrbedarf abzeichnet, ist die demografische Entwicklung im Osten bereits heute weit fortgeschritten.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass vor allem in Ostdeutschland bereits ein Generationenwechsel unter den Hausärzten zumindest teilweise erfolgt ist.
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Der Westen dagegen hat den Generationswechsel unter den Hausärzten noch vor sich. Hier sei in den nächsten Jahren flächendeckend mit einem deutlichen Rückgang der Ärzteschaft zu rechnen, prognostizieren die Experten. Besonders betroffen werden dünn besiedelte Regionen von Rheinland-Pfalz sein, aber auch ländliche Regionen von Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.
Gezielte Steuerung könnte Unterversorgung verhindern
„Eine ausreichende Versorgung mit Hausärztinnen und Hausärzten ist wichtig für jede einzelne Kommune. Deshalb muss es gelingen, die Bedarfslücken zu schließen“, kommentierte Brigitte Mohn, Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung, die Studienergebnisse.
„Eine begrenzte, zielgerichtete Tätigkeit eines Teils der künftigen Medizinerinnen und Medizinern in bestimmten Regionen würde dazu beitragen, eine Unterversorgung effektiv zu verhindern“, sagte auch Professor Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER.
Zehn Prozent des Nachwuchses für Risikoregionen
Um in einzelnen Mittelbereichen laut Bedarfsplanungs-Richtlinie drohende Unterversorgung zu verhindern, würde es nach den Berechnungen ausreichen, wenn dort in den kommenden 15 Jahren insgesamt 40 Hausärztinnen und Hausärzte pro Jahr zusätzlich tätig werden.
930 Hausarztsitze unbesetzt
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Und um bundesweit eine hausärztliche Versorgung auf vergleichbar hohem Niveau sicherzustellen, müssten jährlich rund 160 Hausärztinnen und -ärzte gezielt für künftig schlechter versorgte Regionen gewonnen werden. Das sind zehn Prozent des Nachwuchses.
Kasse fordert mehr Übertragung von Aufgaben
Straub sieht vor allem in einer konsequenteren Übertragung ausgewählter Aufgaben auf nichtärztliche Assistenzberufe die Chance, die Versorgung effizient zu gestalten.
Um die Versorgung in den betroffenen Regionen zu sichern, brauche es gute Bedingungen und Anreize, damit sich neu ausgebildete Hausärztinnen und -ärzte dort niederlassen, forderte Straub.
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Auch in verstärkter Digitalisierung, einer besseren Arbeitsteilung mit Angehörigen therapeutischer und pflegerischer Berufe und ambulant-stationären Gesundheitszentren vor Ort sieht der Kassenvorstand Lösungsansätze, die bereits länger diskutiert werden. Es herrsche Handlungsbedarf, kommentierte Straub die vorgestellten Studienergebnisse. (gab)