Ambulante Versorgung im Visier
Krankenkassen machen ernst: Vorschläge für harten Sparkurs
Der GKV-Spitzenverband legt dem Bundesgesundheitsministerium detaillierte Vorschläge für einen Sparkurs in der ambulanten Versorgung vor. Ärzte-Verbände warnen vor einem „Kahlschlag“-Kurs.
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Der GKV-Spitzenverband warnt das Bundesgesundheitsministerium vor weiteren Beitragssatzsteigerungen – und macht Vorschläge für eine strikte Ausgabendisziplin in der ambulanten Versorgung.
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Berlin. Krankenkassen drängen die Bundesregierung, rasch eine „einnahmenorientierte Ausgabenpolitik“ umzusetzen. In einem Papier unterbreitet der GKV-Spitzenverband dem Bundesgesundheitsministerium detaillierte Änderungsvorschläge unter anderem für Paragraf 71 SGB V – dort ist die Beitragssatzstabilität normiert.
Ärzteverbände reagierten am Donnerstag empört auf das Papier. Dieser „Kahlschlag-Vorstoß“ der Kassen würde „drastische Folgen für die Patientenversorgung“ haben, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von MEDI GENO, Hausärztinnen- und Hausärzteverband, Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte und Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen.
Starker Anstieg der Grundlohnrate erwartet
Der Grundsatz der Beitragssatzstabilität besagt im Kern, dass die Verhandlungspartner von Krankenkassen und Leistungserbringern ihre Vergütungsvereinbarungen so fassen müssen, dass es in der Folge nicht zu höheren Beiträgen kommt. Die Mehrausgaben durch höhere Honorare dürfen somit nicht höher ausfallen als die Veränderungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen der GKV-Mitglieder.
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Bedingt durch die in diesem Jahr stark gestiegene Beitragsbemessungsgrenze (plus 6,5 Prozent) sowie Inflationsausgleiche, die in Tarifverträge der Beschäftigten übernommen wurden, sei für 2025 ein Anstieg der Grundlohnrate von mindestens 5,1 Prozent zu erwarten, warnt der GKV-Spitzenverband. Tue der Gesetzgeber nichts, werde dieser Anstieg „mit großer Wucht auf die GKV-Ausgaben durchschlagen“, heißt es. Weiter steigende Zusatzbeiträge würden dann die Konsequenz sein.
Auf acht Seiten deklinieren die Krankenkassen minutiös durch, wo Vertragspartner bislang vom Grundsatz der Beitragsstabilität abweichen dürfen: Beispielsweise bei den Zuschlägen auf den Orientierungswert, der Vergütung vertragsärztlicher Leistungen außerhalb der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung (MGV) oder bei der Entbudgetierung der Haus- und Kinderärzte.
Mindestens zwei Jahre harte Ausgabendisziplin
Ähnliche Ausnahmeklauseln gelten ebenso etwa bei Vorsorge und Rehabilitation (Paragraf 111 SGB V), der Heilmittelversorgung (Paragraf 125 Absatz 3 Satz 3 SGB V), der Häuslichen Krankenpflege (Paragraf 132a Absatz 4 Satz 7) oder der Hebammenhilfe (Paragraf 134a SGB V). Auch bei der Krankenhausversorgung greifen Ausnahmen bei den Pflegesätzen, den Krankenhausentgelten, der Tarifrefinanzierung und beim Pflegebudget.
Ziel des Kassen-Vorschlags ist es, diese Ausnahmen von der Beitragssatzstabilität „vorübergehend für eine mindestens zweijährige Konsolidierungsphase auszusetzen“.
Die Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier, warnen, bei einer Umsetzung würden Arzt-Praxen die steigenden Gehälter ihrer Praxisteams nicht mehr finanzieren können. „Gleichzeitig würden sie auf den Kosten für neue Versorgungsleistungen sitzen bleiben.“
BVKJ-Präsident Dr. Michael Hubmann erinnerte daran, dass die Entbudgetierung in der Kinder- und Jugendmedizin eingeführt wurde, um dem Ärztemangel entgegenzuwirken: „Und jetzt soll dieser Fortschritt wieder zunichte gemacht werden?“, fragte Hubmann.
Vorwürfe gegen den neuen GKV-Chef Blatt
Die KBV warnt in einer Erklärung die Bundesregierung vor einem „Paradigmenwechsel zu Lasten der Versicherten“. Frontal greifen die KBV-Vorstände Dr. Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner den neuen Vorsitzenden des GKV-Spitzenverbands, Oliver Blatt, an.
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Dieser „kündigt mit seinem Gesetzesvorschlag die Grundlage einer partnerschaftlichen gemeinsamen Selbstverwaltung auf“, so der Vorwurf. Das sei eine „Kehrtwende“ – habe der GKV-Chef doch noch vor wenigen Wochen erklärt, „weder eine Nullrunde fahren zu wollen noch sich jeglichen Honorarsteigerungen zu verweigern“, so die KBV-Vorstände.
Was das Vorschlagspapier der Kassen verschweigt: Selbst eine strikte Umsetzung der Einnahmeorientierung garantiert noch keine stabilen Beitragssätze. Grund ist insbesondere die Alterung der GKV-Versicherten. Darauf hat kürzlich Jochen Pimpertz vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hingewiesen.
Ende August haben die Honorarverhandlungen von KBV und Kassen zu keinem Ergebnis geführt – Mitte September will man sich wiedertreffen. Streitpunkt ist die Höhe des Orientierungswertes im kommenden Jahr. (fst)