Arzneimittelversorgung

Lieferengpässe: Einfuhrregeln für Kinder-Antibiotika in einigen Ländern gelockert

Am Wochenende ist nach Bekanntwerden eines international koordinierten Brandbriefs von Pädiatern an die Gesundheitsminister die Diskussion um Lieferengpässe von Antibiotika für Kinder hochgekocht. Minister Lauterbach lobt das Vorgehen Bayerns.

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Antibiotikum für ein Kind auf Rezept? Hoffentlich hat die Apotheke zuvor gemeldet, welche Wirkstoffe in kindgerechter Darreichungsform verfügbar sind.

Antibiotikum für ein Kind auf Rezept? Hoffentlich hat die Apotheke zuvor gemeldet, welche Wirkstoffe in kindgerechter Darreichungsform verfügbar sind.

© stokkete / stock.adobe.com

Berlin. Mehrere Bundesländer lockern auf Basis eines offiziell festgestellten Versorgungsmangels die Einfuhr-Regeln bei Antibiotika-Säften für Kinder. So kündigte Bayern am Wochenende an, befristet die Einfuhr von Arzneimitteln zu gestatten, die in Deutschland nicht zugelassen oder registriert sind.

„So können die Pharmagroßhändler, Pharmafirmen und Apotheken unbürokratisch handeln“, sagte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) laut Mitteilung. Zum einen sollten die Regierungen mit einer neuen Allgemeinverfügung befristet die Einfuhr von Arzneimitteln gestatten, die in Deutschland eigentlich nicht zugelassen oder registriert seien.

Eigene Herstellung in Apotheken erleichtern

Zum anderen appelliert Holetschek an die Krankenkassen – mit dem Ziel, Apothekern die eigene Herstellung von Antibiotika zu erleichtern. Krankenkassen sollten vorerst keine Zuschläge sowie Erstattungen verweigern und in der Folge keine bereits geflossenen Vergütungen zurückfordern, „wenn Apotheker einen verschriebenen, aber nicht verfügbaren antibiotischen Saft durch ein selbst hergestelltes Arzneimittel ersetzen“, sagte der CSU-Politiker.

Auch Nordrhein-Westfalen habe „alle notwendigen Schritte in die Wege geleitet, um hier schnell Abhilfe zu schaffen“, zitierte der WDR das Düsseldorfer Ministerium. Auch in Bremen gibt es lockerere Maßgaben für den Import.

Lauterbach lobt „unbürokratische Aktionen“

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schrieb mit Blick auf den bayerischen Vorstoß auf Twitter: „Genau für solche unbürokratischen Aktionen der Länder gegen Antibiotika-Lieferengpässe haben wir die Voraussetzungen jetzt geschaffen. Sie sollten genutzt werden.“

Möglich macht das Vorgehen der Bundesländer eine Bekanntmachung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) im Bundesanzeiger, wonach derzeit ein Versorgungsmangel bei diesen Arzneimitteln besteht. Dadurch soll auch die einfachere Einfuhr aus dem europäischen Ausland erleichtert werden. Behörden könnten es nun etwa möglich machen, ein Medikament aus Spanien, das keine deutsche Verpackung hat, von Apotheken hierzulande ausgeben zu lassen.

Appell von Pädiatern aus mehreren Ländern

Die Versorgungslage bei Arzneimitteln ist Kinder- und Jugendärzten zufolge kritisch. So appellierten vor wenigen Tagen Mediziner aus mehreren europäischen Ländern in einem Brief an ihre Gesundheitsminister, gegen die Knappheit vorzugehen.

Zu den Mitzeichnern gehört der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Thomas Fischbach. Es fehle an Fieber- und Schmerzmedikamenten in kindgerechter Darreichungsform. Auch das Antibiotikum Penizillin gebe es derzeit nicht, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

GKV sieht Vertrauen in Industrie erschüttert

Die Ursachen für Lieferengpässe bei Arzneimitteln seien vielfältig, heißt es vom Bundesministerium. Es wies etwa auf Engpässe bei Grundstoffen oder Produktionsprobleme hin. Der GKV-Spitzenverband gibt der Pharmabranche eine Mitschuld: „Es gab ein gemeinsames Vertrauen in die Pharmaindustrie, dass sie im Zweifel die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherstellt. Dieses Vertrauen ist mittlerweile erschüttert“, wird der Pressesprecher des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen. Die Branche habe Lieferketten mit Produktionsstätten im Ausland aufgebaut, die sich jetzt als instabil erwiesen.

Lauterbach schrieb am Samstag bei Twitter, die Sorge der Kinderärzte sei berechtigt, und verwies auf ein entsprechendes Gesetz zur Bekämpfung der Engpässe, das die Bundesregierung Anfang April auf den Weg gebracht hatte. Vom Bundestag beschlossen ist es aber noch nicht. Es soll Herstellern ermöglichen, höhere Abgabepreise für Kindermedikamente in Deutschland zu verlangen, so dass sich Lieferungen nach Deutschland mehr lohnen.

Pflicht zur Lagerhaltung für wichtige Medikamente

Bei wichtigen Medikamenten ist auch eine Pflicht zur mehrmonatigen Lagerhaltung vorgesehen. Und bei Antibiotika sollen Hersteller, die Wirkstoffe in Europa produzieren, stärker zum Zug kommen.

In der Begründung zum Gesetz ist nachzulesen, dass bei bestimmten Arzneimitteln mit Antibiotika inzwischen mehr als 60 Prozent der Wirkstoffproduktion in Asien stattfindet, doppelt so viel wie vor zwanzig Jahren. Die Neuregelung soll Abhängigkeiten verringern.

Montgomery: Falsche Anreize

Angesichts des Mangels an einzelnen Arzneien fordert der frühere Vorsitzende des Weltärztebunds (WMA) und ehemalige BÄK-Präsident, Professor Frank Ulrich Montgomery, eine EU-weite Medikamentenreserve. Seit über zehn Jahren nähmen die Engpässe zu. „Der Grund sind falsch gesetzte wirtschaftliche Anreize bei der Pharmaindustrie“, sagte er den Zeitungen der Funke-Gruppe (Montag).

Eine EU-Reserve als „Verpflichtung für die Pharmaindustrie, überwacht und gemanagt von Staat und Ärzteschaft“, lasse sich sofort schaffen, erklärte Montgomery. Auch müsse die Politik mit passenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Produktionsstandorte zurück nach Europa holen. Lieferketten sollten mit mehreren Quellen für Medikamente gesetzlich abgesichert werden. (dpa)

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