Fachsymposium Gentherapien
Mehr Vernetzung und Strukturreformen gefordert
Wie steht es um die Versorgung von Patienten mit seltenen Erkrankungen? Welche Veränderungen braucht es, um moderne Gentherapien verfügbar, aber auch sicher zu machen? Dies waren einige Themen eines Fachsymposiums.
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Gerade im Bereich der Seltenen Erkrankungen wird Gentherapie immer wichtiger.
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Berlin. Rund 7000 Erkrankungen gelten als selten, für unter drei Prozent gibt es eine Therapie. 80 Prozent der Seltenen sind genetisch bedingt. Gentherapien bedeuten für die Betroffenen einen enormen Nutzen. Welche Herausforderungen, aber auch Belastungen das für die behandelnden Kliniken bedeutet, schilderte Professor Andreas Hahn vom Uniklinikum Gießen. So habe der Einsatz moderner Gentherapien bei Patienten mit Spinaler Muskelatrophie (SMA) den Arbeitsaufwand verzehnfacht, bei unveränderter Mitarbeiterzahl. Es habe bisher keine Unterstützung gegeben, im Gegenteil versuche der MDK Ressourcen zu nehmen.
Pro Jahr ein bis drei neue moderne Therapien
Durch neue therapeutische Optionen für Patienten mit Duchenne Muskeldystrophie (DMD) kündige sich eine neue große Arbeitswelle an, mahnte der Kinderneurologe bei einem gemeinsamen Symposium von Springer Medizin und Pfizer. „Ärzte sorgen sich, wie diese zusätzliche Belastung zu schaffen ist.“ Aktuell gebe es zwölf Genersatztherapien und zahlreiche modifizierende Therapien. „Und jedes Jahr kommen ein bis drei weitere Therapien hinzu“, so Hahn. Teilweise seien nur wenige Patienten betroffen, teilweise ginge es etwas mehr in die Breite.
„Leider keine Möglichkeiten“ ist Vergangenheit
Dabei ließ Hahn keinen Zweifel am Nutzen moderner Gentherapien. So seien bei der schwersten Form einer SMA die Kinder früher binnen zwölf Monaten gestorben. „Wir Ärzte mussten den Eltern sagen, dass es leider keine Möglichkeiten gibt.“ Die drei derzeit verfügbaren Therapeutika haben das geändert. Mit ein Grund, weshalb SMA im Oktober 2021 ins Neugeborenen-Screening aufgenommen wurde. „Pro Jahr werden etwa 90 Kinder mit SMA diagnostiziert“, sagte Hahn.
Gentherapien nur in spezialisierten Zentren
Zugleich machte er einen Vorschlag, wie Abhilfe zu schaffen sei. „Die Therapien müssen in spezialisierten Zentren erfolgen.“ Diese müssten über entsprechende Kapazitäten und Ausstattung verfügen und selbstverständlich auch die nötige Kompetenz und Expertise. Das gelte sowohl für Indikationsstellungen, Durchführung und Nachverfolgung beim Einsatz von Gentherapeutika. Aktuell gebe es in Deutschland 15 Zentren für neuromuskuläre Erkrankungen, erinnerte der Neuropädiater. Als weiteren zwingenden Punkt nannte Hahn die Vernetzung der beteiligten Einrichtungen.
Bildung regionaler Versorgungsnetzwerke
Vernetzung war ein Thema, das von allen Diskutanten des „Fachsymposiums Gentherapien“ genannt wurde. Jens Bussmann vom Verband der Universitätsklinika e.V. verband das mit der anstehenden Krankenhausreform. Diese müsse auch genutzt werden, um regionale Versorgungsnetzwerke zu bilden. „Dort muss auch Telemedizin zur Nachsorge integriert werden.“ Das Ganze sollte immer mit der Universitätsmedizin abgestimmt sein.
Erstattungsrisiko führt zur Zurückhaltung
Bussmann beklagte, dass die Unimedizin behandelt werde, wie andere Krankenhäuser. So gebe es bei modernen Therapien keine Vorauswahl. Viele Zentren und Einrichtungen hätten Interesse an der CAR-T-Zelltherapie. Bei den Anforderungen an die Zentren wiederum ginge der G-BA sehr bürokratisch vor. Zudem hätten diese keine Sicherheit für die Kostenerstattung. „Eine Einzelkostenübernahme wie bei der CAR-T-Zelltherapie kann nicht der Schlüssel sein“, betonte Bussmann. Das Erstattungsrisiko und „kleinliche Auflagen“ würden zur Zurückhaltung bei modernen Gentherapien führen.
Patientenlotsen – ein Gewinn für alle
Die Gefahr, dass Innovationen im Bereich der seltenen Erkrankungen gebremst werden könnten, sah auch der Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e.V., Joachim Sproß. „Die Politik muss Patienten und deren Organisationen einbeziehen“, lautete seine eindringliche Forderung. Was den Patienten von allen anderen Beteiligten unterscheidet: Nur er habe die psychisch-emotionale Belastung. Es gehe darum, die Patienten zu informieren, aufzuklären und ein entsprechendes Erwartungsmanagement zu betreiben. „Der Beratungsbedarf ist hoch“, betonte Sproß und bot als eine Lösung Patientenlotsen an. Davon könnten alle Beteiligten profitieren, es könne eher behandelt und vor allem richtig behandelt werden. Nötig seien zudem strukturelle Datenerhebungen, die in zentralen Registern zusammengeführt werden müssten.
„Haben ein verqueres Denken von Datenschutz“
Im zweiten Teil der Veranstaltung kamen dann Gesundheitspolitiker von FDP, Grünen und Union zu Wort. Auf das Thema Vernetzung und Register sprang Tino Sorge an, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. „Wir haben ein verqueres Denken von Datenschutz“, sagte der Jurist. So würden vorhandene Datensätze nicht miteinander vernetzt. Kompetenzen müssten nicht nur gebündelt und vernetzt werden, es brauche auch Register, zum Beispiel zur SMA. Zudem müsse mit der Haltung, die Pharma-Industrie würde Geld auf dem Rücken der Patienten verdienen, aufgeräumt werden. Eine solche Haltung gefährde den Standort Deutschland.
Forderung nach Bürokratie-Abbau
Von stärkerer Vernetzung sprach auch Professor Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Die Ampel-Regierung sei sich einig, dass Innovationen bei den Patienten ankommen müssen. Aktuell habe die Regierung viele Krisen zu lösen, sagte Ullmann zum aktuellen Aufgabenumfang. Im Gesundheitsbereich gebe es eine hohe Bürokratie, angefangen bei Ethik-Kommissionen, nannte Ullmann einen weiteren Punkt, der anzupacken sei. Die Forderung nach Bürokratie-Abbau schloss sich umgehend an. der Arzt betonte, dass es in der Medizin nicht immer um Heilung gehe. Auch Linderung und Hilfe bedeuteten für die Patienten einen Nutzen. Außerdem wies Ullmann darauf hin, dass Evidenz immer auch einen Interpretationsspielraum habe.
„Ein Kind pro Grundschulklasse hat eine Seltene“
„Selten ist gar nicht so selten“, erinnerte Dr. Kirsten Kappert-Gonther von Bündnis90/Die Grünen. Rechnerisch sitze in jeder Grundschulklasse ein Kind mit einer seltenen Erkrankung. Viele Patienten mit einer Seltenen warteten auf Lösungen, so die stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses. Hier dürfe die Politik nicht bremsen, sondern müsse fördern. Gebremst werden müssten jedoch zu hohe Heilserwartungen. „Wir wollen Menschen mit Seltenen nicht im Regen stehen lassen“, betonte Kappert-Gonther. Niemand solle seinem persönlichen Schicksal überlassen werden, wer Hilfe braucht, soll auch welche bekommen. Auch Kappert-Gonther betonte die Notwendigkeit von Vernetzungen.
Fazit: Es herrschte im Grunde Einigkeit darüber, Patienten mit seltenen Erkrankungen vernünftig zu versorgen, inklusive moderner Gentherapien. Konkrete Finanzierungsmodelle blieben dabei offen. Und wenn es einen Begriff bei dem Symposium gab, der alle Beteiligten vereinte, dann war das Vernetzung.
Quelle: „Gentherapien in Deutschland – ist unsere Versorgung bereit?“ Veranstalter: Springer Medizin und Pfizer