Neuer Ansatz

Mit Selbstheilungskräften gegen Demenz

Dass demente Menschen ein stabiles Umfeld brauchen, hält Neurobiologe Gerald Hüther für falsch. Sein Ansatz ist ein anderer.

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Demenzkranken hilft es mehr, wenn sie aktiv in den Tagesverlauf einbezogen werden. Das fängt bei Kleinigkeiten wie der Körperpflege an.

Demenzkranken hilft es mehr, wenn sie aktiv in den Tagesverlauf einbezogen werden. Das fängt bei Kleinigkeiten wie der Körperpflege an.

© Arno Burgi / ZB / picture allian

MÖNCHENGLADBACH. Mit einem anderen Blick auf Demenzerkrankungen lassen sich sowohl die Inzidenzraten senken als auch die bereits Erkrankten besser versorgen, glaubt der Neurobiologe Professor Gerald Hüther.

Der entscheidende Ansatz sei, die regenerativen Potenziale des menschlichen Gehirns zu nutzen – von Kind an bis ins hohe Alter.

Die Demenzforschung konzentriere sich heute darauf, Ablagerungen im Gehirn und die Degeneration des Organs zu verhindern, sagte Hüther bei einer gemeinsamen Veranstaltung des Instituts für patientenorientierte Versorgungsablaufforschung und der "Rudi Assauer Initiative Demenz und Gesellschaft" in Mönchengladbach.

Das sei aber der falsche Ansatz. "Nicht die Ablagerungen sind das Problem, sondern die Unfähigkeit des Gehirns, das wieder aufzubauen, was verloren geht."

Als Beleg führt er die sogenannte Nonnenstudie an: Der US-amerikanische Epidemiologe David Snowdon hatte über viele Jahre fast 700 Nonnen neuropsychologisch auf Demenz getestet und bei den verstorbenen Frauen die Gehirne untersucht.

Plaques im Gehirn, aber keine Demenz

Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass viele Ordensschwestern mit zunehmendem Alter zwar auch Plaques im Hirn hatten, aber nur sehr wenige an Demenz erkrankten.

Hüthers Erklärung: "Das Leben der Nonnen ist so, dass sie ihr neuroplastisches Potenzial besser nutzen können, die Regeneration klappt bei ihnen besser."

Damit das gelingt, brauche es extrem optimale Bedingungen, räumte der Wissenschaftler ein. Die Menschen müssten ein "Kohärenzgefühl" haben, sagte er mit Bezug auf das Prinzip der Salutogenese: Sie müssen in einer Welt leben, die sie verstehen, in der sie die Dinge gestalten können und die ihnen sinnhaft erscheint.

Das war bei den Nonnen offenbar der Fall. "Nur dann können die Selbstheilungskräfte wirken", betonte Hüther, der seine Thesen in dem Buch "Raus aus der Demenzfalle" erläutert hat. Eine große Rolle spiele auch die Interaktion mit anderen Menschen.

Die größte Inkohärenz entsteht aus Sicht von Hüther, wenn Menschen in den Erwartungen, Bewertungen und Diagnosen anderen Menschen als Objekte behandelt werden und nichts selbst gestalten können. Das binde bei den Betroffenen sehr viel Energie.

Inzidenz von Demenz geht zurück

Damit sich bei älteren Menschen die regenerativen Potenziale entfalten können, müssten die Rahmenbedingungen stimmen. Für kontraproduktiv hält er deshalb festgezurrte, eintönige Tagesabläufe in Einrichtungen für ältere und demenzkranke Menschen.

Besser seien dezentrale Einrichtungen wie Wohngemeinschaften, die die Älteren einbeziehen und ihnen das Gefühl geben, dass sie verstehen, was um sie herum passiert.

Die Vorstellung, man müsse älteren Menschen vor allem Stabilität geben, hält der Neurobiologe für falsch. "Statt dessen kommt es darauf an, sich ständig zu verändern und neue Lösungen zu finden."

Als Beleg für seine Thesen sieht Hüther Studien, die darauf hinweisen, dass die Inzidenz von Demenzerkrankungen in der Generation, die jetzt alt wird, zurückgeht.

Das sei die erste Generation älterer Menschen, die lange aktiv sind und in das Leben einbezogen werden. "Wir müssen den alten Menschen helfen, wieder ins Leben zurückzufinden", forderte er. (iss)

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