Neidische Franzosen und der "deutsche Schatz" GKV

Respekt für prallvolle Sozialkassen, Bewunderung für das Klima zwischen Ärzteschaft und Politik - eine französische Sicht auf das deutsche Gesundheitswesen und darauf, wofür französische Ärzte ihre deutschen Kollegen nicht beneiden.

Denis Durand de BousingenVon Denis Durand de Bousingen Veröffentlicht:

STRAßBURG. "Die Deutschen wissen nicht, was mit ihren Milliarden tun sollen": Mit etwas neidischer Ironie haben viele französische Fachmedien über die Überschüsse der deutschen Krankenversicherung berichtet - ein Zustand, von dem die französische Sécurité Sociale nur träumen kann.

Allein 2011 schrieb die Krankenversicherung fast zehn Milliarden Euro Defizit, hinzu kommen weitere Altlasten.

Die Rückkehr zu einem Gleichgewicht, das von fast allen Gesundheitsministern "binnen zwei bis drei Jahren" versprochen wurde, scheint ferner denn je.

Wie merkwürdiger Luxus mutet bei den Franzosen der Streit der Deutschen über die mögliche Verwendung der Überschüsse. Vor allem aber fragen sich französische Politiker und Ärzte: Wie hat es Deutschland geschafft, solche Reserven zu erwirtschaften?

Auch bei der letzten Präsidentenwahl waren die GKV-Milliarden ein Thema: für den abgewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy waren sie ein Beispiel der erfolgreichen Politik Angela Merkels - eine Politik, die laut Sarkozy auch in Frankreich hätte gelingen können.

Diesem "richtigen Weg" wollten die Franzosen aber am 6. Mai nicht mehr folgen - im Unterschied zur Mehrheit der niedergelassene Ärzte, die Sarkozy als bürgerlichen Kandidaten gewählt haben.

Nicht nur Neid

Obwohl die meisten französischen Ärzte über das extrem komplizierte deutsche Gesundheitssystem wenig wissen, ahnen viele, dass die gute Finanzlage der deutschen Krankenkassen nicht unbedingt eine Verbesserung der Situation der Ärzte bedeutet.

Von Frankreich aus gesehen gilt das deutsche Gesundheitssystem als perfekt organisiert und wirkungsvoll, aber auch als teuer und überreglementiert.

Nicht alle Ärzte beneiden daher ihre deutschen Kollegen, die zwar oft mehr verdienen und über größere, modernere Praxen als sie verfügen.

Nicht selten arbeiten französische Hausärzte ganz allein in kleinen Praxen ohne Personal. Aber dafür sind sie frei von Budgetierungen und hoch komplizierten Richtlinien.

Tatsächlich sind viele der Interventionen, die die deutsche GKV finanziell stabilisiert haben, in Frankreich nie durchgeführt worden. Obwohl Patienten eine Zuzahlung bei jedem Arztbesuch leisten müssen, übernehmen ihre privaten Ergänzungsversicherungen fast alle Kosten, die der Gesetzgeber zu Lasten der Patienten eingeführt hat.

Praxis- und Honorarbudgets sind dort unbekannt, nicht zuletzt weil Ärzteverbände in den 1990er Jahren heftig gegen solche Pläne gekämpft haben.

Pläne für Honorarbegrenzungen

In der Arzneiversorgung stagniert seit langem der Anteil der Generika, weil viele Patienten diese Arzneien immer noch ablehnen, ohne dass dies für sie finanzielle Folgen hat.

Viele Kassen halten daher Reformen, die die Kosten wirksam bremsen, für unentbehrlich. Ob die neue französische Regierung eine breite Reform à la Horst Seehofer oder Philip Rösler durchführen wird, ist fraglich.

Viel wahrscheinlicher dürfte es sein, dass die neue Regierung Sparmaßnahmen beschließt, die aber insbesondere die Ärzte treffen würden.

So plant Sozialministerin Marisol Touraine, das Recht der Ärzte, höhere Honorare als die festgelegten Sozialversicherungstarife abzurechnen, deutlich zu begrenzen.

Nachdem die Ärzteschaft unter Sarkozys weitgehend verschont wurde, könnte die neue Regierung einen ganz anderen Kurs fahren.

In diesem Fall wäre es nicht die Bewunderung für den "deutschen Schatz" in der GKV, sondern das beim Ärztetag in der letzten Woche offenkundig gewordene freundliche Klima zwischen Ärzteschaft und schwarz-gelber Koalition in Berlin, das die französischen Ärzte neidisch auf ihre deutschen Kollegen macht.

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