Leitartikel zum neuen Gesundheitsminister

Scholz bringt Wissenschaft gegen Populismus in Stellung

Mit Karl Lauterbach wird sich die Gesundheitspolitik nicht von Grund auf ändern. Dafür ist er zu lange an ihrer Architektur mit beteiligt. Seine Berufung sendet ein starkes politisches Signal aus.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

Der designierte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) lässt sich nicht vorstellen, ohne den scheidenden Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und seine Attitüde mit in den Blick zu nehmen. „Es muss einen Unterschied machen!“ Wenn es eine Redewendung gibt, die sich mit Spahn in Verbindung bringen lässt, dann wohl dieser Anglizismus. Den hat er auf alle seine Gesetzespläne und Verordnungen angewandt. „Es muss einen Unterschied machen“.

Nur einmal hat Spahn seinen Wahlspruch grob missachtet. Das dämmerte ihm allerdings erst gegen Ende der Legislatur. „Wir hätten schon im August klarer diesen Unterschied zwischen Geimpften und Ungeimpften machen müssen“, sagte Spahn bei seinem letzten Auftritt vor der Bundespressekonferenz mit Blick auf die Bund-Länder-Beschlüsse von Donnerstag.

Jetzt macht Lauterbach den Unterschied

Unterschiede im Gesundheitswesen und in der Pandemiebekämpfung herauszuarbeiten, muss Spahn nun seinem Nachfolger Professor Karl Lauterbach überlassen.

Welchen Unterschied wird Lauterbach im Vergleich zur Politik Jens Spahns aber tatsächlich und schnell wahrnehmbar machen? Darauf dürfen die Beobachter der politischen Entwicklung des Gesundheitswesens gespannt sein. Die Bürgerversicherung haben die Ampel-Koalitionäre bereits in den Koalitionsverhandlungen abgeräumt. Grün und Rot haben damit auf einen konstitutiven Teil ihrer gesundheitspolitischen Position vorerst verzichtet. Da die Ampel schon angekündigt hat, wiedergewählt werden zu wollen, gilt dieser Verzicht zumindest perspektivisch über die in dieser Woche anbrechende Legislatur hinaus.

Die alten Themen bleiben

Was bleibt? Der Koalitionsvertrag knüpft damit praktisch an allen gesundheitspolitischen Themen der Gesundheitsminister Gröhe und Spahn an: Die Pflege zukunftsfest machen, die ambulante Versorgung in der Fläche aufrechterhalten, die Krankenhauslandschaft bedarfsgerecht umgestalten, Digitalisierung und die Finanzierung eines der besten Gesundheitssysteme der Welt sichern: Die Überschriften bleiben die gleichen.

An diesem Themenkatalog hat Lauterbach bereits seit 2005 bei seinem ersten Einzug in den Bundestag mitgearbeitet. Lauterbach und Spahn waren zeitweise das gesundheitspolitische Duo der „Zehner-Jahre“. 2013 schrieben sie gemeinsam das gesundheitspolitische Kapitel des Koalitionsvertrags der vorläufig vorletzten GroKo. Gesundheitsminister wurde schließlich Hermann Gröhe (CDU).

Der Mythos der golfenden Ärzte

2017/18 war Lauterbach bei den Verhandlungen wieder am Start. Damals verhandelte er die umstrittene Ausweitung der Pflicht-Sprechstundenzeiten für Kassenärzte von 20 auf 25 in den Koalitionsvertrag – quasi als Ersatz für die nicht durchzusetzende Bürgerversicherung. Wartezeiten für Kassenpatienten sollten so verkürzt werden. Lauterbach beklagte, viele Ärzte würden ihre Praxen weder mittwochs noch freitags an Nachmittagen öffnen und stattdessen Golf spielen.

Die Reaktion der Ärzte fiel erwartungsgemäß harsch aus. In der Spitzabrechnung zeigten sich allerdings auch Einnahmezuwächse in den Büchern der Ärzte. Mit den zusätzlichen Sprechstunden stieg die Summe der extrabudgetären Vergütung. Lauterbach hatte einen Punkt verbucht. Minister wurde Jens Spahn. Lauterbach blieb dennoch am Ball. Er war auch in den Koalitionsverhandlungen 2021 in der SPD-Arbeitsgruppe „Gesundheit und Pflege“ am Start. Und jetzt ist der 58-Jährige Abgeordnete aus dem Wahlkreis Leverkusen-Köln IV selbst kurz davor, in dem Amt anzukommen, das anzustreben er nie verhehlt hat.

Mehrere Nachrichten der letzten Tage legen nahe, dass die künftige Leitung des Gesundheitsministeriums jetzt in wissenschaftliche Hände gehören muss. Die eine ist, dass Scholz am Kanzleramt einen ständigen Corona-Krisenstab aus Experten bilden will. Ministerium und Krisenstab sollten daher die gleiche Sprache sprechen und an einem Strang ziehen. Einer nachvollziehbaren Pandemiepolitik aus einem Guss wird dies nicht schaden.

Es spricht aber noch mehr für einen Wissenschaftler an der Spitze des Ministeriums. Am Wochenende sind rechtsextreme Coronaleugner mit brennenden Fackeln vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping aufgezogen. In diese Stimmung hinein den unter den Gegnern der offiziellen Coronapolitik umstrittenen Karl Lauterbach zu berufen, ist somit auch ein klares Signal gegen Populismus und pro Wissenschaft. So wird dies auch in der Ärzteschaft gesehen: Nur mit Fakten, nicht mit Ideologie kann die Pandemie besiegt werden.

Schreiben Sie dem Autor: anno.fricke@springer.com

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