Suchtkrankheit

So läuft das Patientengespräch mit Alkoholkranken optimal

70 Prozent der Patienten mit Alkoholproblemen haben mindestens einmal im Jahr Kontakt zu ihrem Hausarzt. Bei vielen lässt sich durch die ärztliche Intervention der Alkoholkonsum tatsächlich deutlich senken: BZgA und BÄK geben Tipps fürs Patientengespräch.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Wie kann man das Patiengespräch gut gestalten? Ein Leitfaden gibt Tipps.

Wie kann man das Patiengespräch gut gestalten? Ein Leitfaden gibt Tipps.

© Yakobchuk Olena / Stock.Adobe.com

Berlin. Rund 7,8 Millionen Erwachsene in Deutschland trinken Schätzungen zufolge zu viel, rund 3,4 Millionen sollen bereits missbräuchlich mit Alkohol umgehen. Der Pro-Kopf-Konsum liege in der Bundesrepublik bei 10,7 Liter Alkohol pro Jahr, mahnt Dr. Heidrun Thaiss, Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im Vorwort des neuen Ärztlichen Leitfadens „Alkoholkonsum bei Patientinnen und Patienten ansprechen“, den die BZgA gemeinsam mit der Bundesärztekammer (BÄK) aufgelegt hat. Das seien besorgniserregende Zahlen, so Thaiss.

BZgA und Bundesärztekammer (BÄK) sehen hier gerade die niedergelassenen Ärzte, allen voran die Hausärzte, gefordert, ihre Patienten für das Thema zu sensibilisieren. „Hausärztliche Kurzinterventionen führen in vielen Fällen zu einer deutlichen Senkung des Alkoholkonsums“, sagt BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt. „Allerdings spielt bei einem so sensiblen Thema die richtige Ansprache eine entscheidende Rolle. Hier ist viel ärztliches Fingerspitzengefühl gefragt.“

Mehr Alkoholkonsum durch Corona?

Ob die Corona-Pandemie die Situation verstärkt, ist noch unklar. Fakt ist, dass bundesweit der Alkoholverkauf in den Supermärkten steigt: Allein von Ende Februar bis Ende März wurden laut dem Marktforschungsinstitut GFK gut ein Drittel mehr Weinflaschen verkauft als im gleichen Zeitraum 2019. Bei klaren Spirituosen betrug die Steigerung 31,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Damit hat zumindest der – unbeobachtete – Konsum in den eigenen vier Wänden zugenommen.

Hilfe beim ärztlichen Gespräch bietet tatsächlich der Leitfaden von BZgA und BÄK, indem er ganz praktische Tipps gibt. Das fängt beim Einstieg in das Thema Alkoholkonsum an. Relativ unkompliziert lässt sich dieses bei Neupatienten ansprechen, indem die Praxis unter dem Überthema Gesundheitsverhalten einige Fragen zum Alkoholkonsum in den Erstanamnese-Fragebogen einbaut. Der Vorteil laut BZgA und BÄK: Wird der Alkoholkonsum über den Fragebogen gemeinsam mit anderen Gesundheitsrisiken thematisiert, vermeidet der Arzt eine mögliche, gefühlte Stigmatisierung. Andere Gelegenheiten, den Alkoholkonsum anzusprechen sind laut dem Leitfaden:

  • der Gesundheits-Check-up, da dieser als Teil der Anamnese auch die Abfrage persönlicher Risikofaktoren beinhaltet. Zudem ist er eine gute Möglichkeit auch die Patienten Mitte, Ende 30 und Anfang 40 bei diesem wichtigen Thema nicht aus dem Blick zu verlieren.
  • OP-Vorbereitungsgespräche, da auch hier generell gesundheitliche Risiken besprochen werden.
  • Besprechen des Medikationsplans, bzw. bei der Verschreibung von Arzneimitteln mit alkoholbezogenen Interaktionen.
  • Aktuelle Symptome / Auffällige Befunde, die einen direkten Bezug zu Alkohol aufweisen.

Immerhin 70 Prozent der Patienten mit Alkoholproblemen hätten mindestens einmal im Jahr Kontakt zu ihrem Hausarzt, heißt es in dem Leitfaden. Eine Ansprache durch den Arzt könne bei der Hälfte der Betroffenen zu einem reduzierten Konsum führen.

Doch dafür braucht es wiederum einen festen Reduktionsplan. Die Autoren des Leitfadens setzen hier auf eine Art Zielvereinbarung, die gerne auch bei anderen Krankheitsbildern eingesetzt wird. Dafür ist es aber zunächst wichtig, dass der Patient offen über die konsumierte Menge an Alkohol spricht. „Fragen Sie um Erlaubnis“, lautet die klare Empfehlung der Leitfaden-Autoren. Damit soll umgangen werden, dass die Patienten vielleicht selbst bei eindeutigen Laborwerten versuchen, das Problem zu leugnen oder zu bagatellisieren. Eine mögliche Einstiegsfrage wäre demnach: „Würden Sie gerne mehr darüber erfahren, wie Ihre erhöhten Werte mit Ihren Lebensgewohnheiten zusammenhängen könnten?“

Richtwert für gesunde Trinkmenge

Als maximale gesunde Trinkmenge empfehlen die Autoren für Frauen 8 bis 10 Gramm Reinalkohol pro Tag (das entspricht 0,2 l Bier oder 0,1 l  Rotwein) und für Männer 15 bis 20 Gramm Reinalkohol pro Tag (das entspricht 0,4 l Bier oder 0,2 l Rotwein). Wobei mindestens zwei Tage pro Woche alkoholfrei sein sollten.

Dabei sind die Trinkmengen geringer als die Schwellenwerte für die Diagnostik eines riskanten Konsums gesetzt. Hierfür gibt die S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (2014), auf der die Inhalte des Leitfadens von BZgA und BÄK beruhen, als Richtwert für Männer über 24 Gramm Reinalkohol und für Frauen über 12 Gramm Reinalkohol pro Tag an.

Der Arzt sollte mit dem Patienten ein angestrebtes Konsumziel und Konsummuster besprechen. Dieses sollte schriftlich festgehalten werden, die Kontrollen sollten ähnlich wie bei anderen chronischen Erkrankungen erfolgen. Bei der Umsetzung im Patientenalltag könnte dann ein Trinktagebuch helfen, indem der angestrebte und der tatsächliche Konsum vermerkt werden. Wichtig ist dabei auch, dass Risikosituationen, in denen die Umsetzung der Ziele für den Patienten schwer sind, regelmäßig besprochen werden. Außerdem wird ein Stufenmodell zur Reduktion der Trinkmenge empfohlen. Etwa nach folgendem Schema (Beispiel für Patient mit Alkoholkonsum von 60 g pro Tag):

  • Stufe 1: Woche 1 bis 3 Reduktion der Trinkmenge auf 40 g Alkohol pro Tag,
  • Stufe 2: Woche 4 bis 6 Reduktion auf 30  g Alkohol pro Tag,
  • Stufe 3: ab Woche 7 maximal 5 Trinktage pro Woche, Trinkmenge im Schnitt max. 20 g pro Tag.

    Ärztliches Manual

    • Der Leitfaden „Alkoholkonsum bei Patientinnen und Patienten ansprechen.“ wurde im Rahmen der BZgA-Erwachsenenkampagne „Alkohol? Kenn dein Limit.“ und in Kooperation mit der Bundesärztekammer ent wickelt: zum Download.
    • Hilfsmaterial: Die BZgA bietet zur Unterstützung der ärztlichen Intervention ein Trinktagebuch, Broschüren für Patienten: www.bzga.de/infomaterialien/
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