Beschlossen

Telefonische Krankschreibung ab sofort und dauerhaft möglich

In der Corona-Pandemie hat sich das Instrument bewährt – nun ist die Tele-AU in Praxen unter Auflagen regelhaft möglich. Einen entsprechenden Beschluss hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) gefasst. Auch das Bundesgesundheitsministerium gibt grünes Licht.

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Der Eingang zum Gemeinsamen Bundesausschuss

Grünes Licht für die Tele-AU: Sitz des Gemeinsamen Bundesausschusses in Berlin.

© Svea Pietschmann / G-BA

Berlin. Die Tele-AU ist zurück: Um sich krankschreiben zu lassen, müssen Patientinnen und Patienten ab sofort nicht mehr zwingend in die Arztpraxis kommen. Details der telefonischen Krankschreibung hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am Donnerstag beschlossen.

Das Bundesgesundheitsministerium, das G-BA-Beschlüsse rechtlich prüfen muss, gab umgehend grünes Licht. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte, die Selbstverwaltung habe gründlich und schnell entschieden. Mit der Regelung zur Tele-AU würden Arztpraxen und Patienten gleichermaßen entlastet. Das Votum des G-BA war erwartet worden – dies auch unter dem Eindruck der derzeit starken Infektionswelle, die das Praxismanagement vielerorts unter Druck setzt.

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Die Tele-AU ist allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich: So muss der Patient oder die Patientin der Arztpraxis bereits bekannt sein. Zudem darf keine schwere Symptomatik vorliegen – in diesem Fall ist die Erkrankung in einer persönlichen Untersuchung abzuklären.

Tele-AU-Erstbescheinigung für bis zu 5 Kalendertage

Sind diese Voraussetzungen gegeben, kann die Ärztin oder der Arzt nach telefonischer Anamnese die Erstbescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit für bis zu fünf Kalendertage ausstellen. Dieser Punkt der Regelung war umstritten unter den „Bänken“.

Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und Patientenvertreter hatten sich für eine Dauer von bis zu 7 Tage bei der Erstbescheinigung zur Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen. Der Antrag wurde mit den Stimmen der GKV-Vertreter und der drei unparteiischen Mitglieder im G-BA abgelehnt.

Besteht die telefonisch festgestellte Erkrankung fort, muss der Patient oder die Patientin für die AU-Folgebescheinigung die Praxis aufsuchen. Wenn die erstmalige Bescheinigung anlässlich eines Praxisbesuchs ausgestellt wurde, sind Feststellungen einer fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit aber auch per Telefon möglich. Ein Anspruch der Versicherten auf Anamnese und Feststellung der Arbeitsunfähigkeit per Telefon besteht nicht.

Lelgemann: Keine Krankschreibung zweiter Klasse!

Dr. Monika Lelgemann, unparteiisches Mitglied im G-BA und Vorsitzende des Unterausschusses „Veranlasste Leistungen“, betonte, Praxen und Versicherte hätten in der Corona-Pandemie die befristete Ausnahmeregelung für eine Tele-AU als große Entlastung empfunden. „Hier knüpfen wir an und setzen mit dem heutigen Beschluss den gesetzlichen Auftrag einer dauerhaften Regelung um.“

Es handele sich ausdrücklich nicht um eine „Krankschreibung zweiter Klasse“, so Lelgemann. Die neuen Regelungen trügen der „besonderen Verantwortung Rechnung, dass Krankschreibungen eine hohe arbeits- und sozialrechtliche sowie wirtschaftliche Bedeutung haben“. Bei Bedarf seien Symptome beim Patienten direkt vom Arzt abzuklären. Dies stelle nach wie vor den Standard in der Versorgung dar.

Direkter Arzt-Patient-Kontakt bleibt Goldstandard

Die ärztliche Feststellung und Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit – die Krankschreibung – ist in der Regel Voraussetzung für den Anspruch gesetzlich Versicherter auf Entgeltfortzahlung oder Krankengeld.

In der entsprechenden Richtlinie (AU-RL) des G-BA ist festgelegt, welche Regeln hierbei gelten. Grundsätzlich gilt, dass die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Ausstellung der Bescheinigung nur nach ärztlicher Untersuchung erfolgen darf.

Mit dem im Juli vom Bundestag beschlossenen Gesetz zu Lieferengpässen bei Arzneimitteln wurde der G-BA beauftragt, bis 31. Januar 2024 die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit bei leichteren Erkrankungen auch nach telefonischer Anamnese zu ermöglichen. Ärzteverbände hatten darauf gedrungen, die Neuregelung vorzuziehen, um die Praxen wegen der aktuell hohen Zahl an Atemwegserkrankungen zu entlasten.

BKK-Chef Knieps: Gewisse Skepsis bleibt bestehen

Der Vorstandschef des BKK-Dachverbands, Franz Knieps, erklärte am Donnerstag, Atemwegserkrankungen würden derzeit weitergereicht wie Wanderpokale. In diesem Zusammenhang sei es von Interesse, zu beobachten, welchen Einfluss die Tele-AU auf das Krankheitsgeschehen entwickele.

„Unsere Betriebe haben eine gewisse Skepsis, ob dadurch nicht die Zahl der AU-Tage und die Zahl der AU-Fälle dramatisch ansteigen“, sagte Knieps. Auf der anderen Seite finde er Aussagen des Vorsitzenden des Deutschen Hausärztinnen- und Hausärzteverbands, Dr. Markus Beier, sehr überzeugend, dass es keinen Sinn ergebe, Leute mit Atemwegsinfekten in die Praxen zu treiben.

Zuspruch von Hausärzten, Kritik von Arbeitgebern

Hausärzteverbands-Chef Beier selber sprach am Donnerstag in einer ersten Reaktion auf den G-BA-Beschluss von der Tele-AU als einem wichtigen und bewährten Instrument, das die angespannte Lage in den Praxen zumindest kurzfristig entlaste. Es habe sich ausgezahlt, dass man sich in den vergangenen Wochen beharrlich dafür eingesetzt habe, die Tele-AU schneller als geplant in die Regelversorgung zu überführen.

Bei Arbeitgebervertretern stieß der Beschluss dagegen auf scharfe Kritik. „Die neuerliche telefonische Krankschreibung ist eine Fehlleistung der Gesundheitspolitik“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter.

Im „teuersten Gesundheitswesen der Welt“ sollten nun Krankschreibungen per Telefon erfolgen, weil die Politik die Hausärzteversorgung jahrelang vernachlässigt habe. Die Krankschreibung werde damit qualitativ entwertet, obwohl sie Grundlage der Lohnfortzahlung sei. (hom/af)

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