Sexuelle Übergriffe

Was die Gesellschaft gegen Missbrauch tun kann

In Familie, Kindergarten und Schule können Kinder und deren Umfeld für mögliche Übergriffe sensibilisiert und dagegen gestärkt werden.

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Hamburg. Selbstbewusste, ausgeglichene Kinder ohne emotionale Defizite, die von ihren Eltern wertgeschätzt und geliebt werden, haben eine geringere Wahrscheinlichkeit, Opfer eines sexuellen Übergriffs zu werden als emotional bedürftige, verwahrloste Kinder. Das sagt der Psychiater und Sexualforscher Privatdozent Dr. Andreas Hill von der Universität Hamburg-Eppendorf. „Ich halte es für notwendig, dass die Gesellschaft in Familie, Kindergarten und Schule Kinder – und deren Umfeld – für mögliche Übergriffe sensibilisiert und dagegen stärkt“, meint Hill. Gerade um die sozial Schwachen der Gesellschaft müsse sich gekümmert werden.

Der Psychotherapeut verweist dabei auf Fortschritte. So würden Kinder heute deutlich seltener von ihren Eltern geschlagen als noch vor Jahrzehnten. Das sei mit ein Grund dafür, warum Gewalt in der Gesellschaft abgenommen habe. Das gelte auch für Missbrauchsraten: „In den 1950-er Jahren hatten wir viel höhere Missbrauchsraten, und zwar im Hellfeld, bei einer wahrscheinlich geringeren Anzeigebereitschaft als heute“, erklärt Hill. Mit einer gewaltfreien und liebevollen Erziehung lasse sich bereits viel verhindern. Hinzu kommt die frühe Sexualaufklärung. Ebenso sei Wachsamkeit gefragt – nicht wegschauen, sondern nachfragen, wenn etwas inadäquat erscheint.

Kriminalisierung ist kontraproduktiv

Kontraproduktiv ist nach Hills Meinung die Kriminalisierung von Menschen mit pädophilen Neigungen. „Für ihre Sexualpräferenz können diese Menschen zunächst einmal nichts, wohl aber dafür, wenn sie sie ausleben.“ Die Stigmatisierung bewirke, dass diese Menschen sich weniger trauten, sich einem Arzt, einem Freund oder Therapeuten zuzuwenden. Aufgabe der Gesellschaft sei es, das Problem anzuerkennen. Weiterhin sei es wichtig zu erreichen, dass Sexualstraftäter dieses ‚Label‘ nicht selbst als unveränderbare Identität annehmen. Deshalb brauchten diese Menschen Unterstützung im Sinne einer Therapie und der Sekundärprävention.

Höhere Strafen für Sexualstraftäter wirkten kaum abschreckend, meint Hill. „Wer nach Missbrauchsbildern sucht, wird sich keine Gedanken darüber machen, ob er dafür drei oder fünf Jahre ins Gefängnis muss.“ Entscheidend sei, die Aufdeckungsquote zu erhöhen. Dafür brauche es ausreichend Polizeibeamte, Internetspezialisten und internationale Regularien, um einschlägige Internetforen leichter ausfindig zu machen und sperren zu können. Das wäre auch als abschreckende Maßnahme wirkungsvoll. (ner)
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