Kritik eines Praxis-EDV-Anbieters

E-Rezept, ePA, eAU auf einmal – „Das ist alles illusorisch“

In der Arztsoftware-Industrie qualmen bei den Entwicklern aktuell die Tastaturen. Ein Zwischenruf aus einem Softwarehaus zeigt, wo es in den Prozessen zur TI noch hängt.

Hauke GerlofVon Hauke Gerlof Veröffentlicht:
AU-Bescheinigung: Wann gibt es sie endlich auch als Online-Formular mit Direktversand zu Kasse und Arbeitgeber? Nach derzeitiger Planung soll es der 1. Oktober 2021 werden.

AU-Bescheinigung: Wann gibt es sie endlich auch als Online-Formular mit Direktversand zu Kasse und Arbeitgeber? Nach derzeitiger Planung soll es der 1. Oktober 2021 werden.

© Bernd_Leitner / stock.adobe.com

Neu-Isenburg. Das Jahr 2021 entwickelt sich zu einer echten Belastungsprobe für die Praxis-EDV-Anbieter. Viele Hersteller haben die Hausaufgaben für den Kommunikationsdienst KIM über die Telematikinfrastruktur noch nicht gemacht, weil noch nicht alle KIM-Dienste zugelassen sind. Hinzu kommen die Anpassungsarbeiten für den Notfalldatensatz und den E-Medikationsplan sowie vor allem die Vorbereitungen der Anwendungen für das E-Rezept, die eAU-Bescheinigung und die ePA.

In einer Mail an die Redaktion der „Ärzte Zeitung“ drückt Dr. Erich Gehlen, mit dem genossenschaftlich organisierten Softwarehaus Duria schon lange im Geschäft, den ganzen Frust aus, der sich in der Entwicklung der neuen Anwendungen angestaut hat. „Sie glauben nicht, über welche Tücken wir stolpern“, so Gehlen in seinem Schreiben, an vielen Stellen hake es, und praxistaugliche Lösungen für Ärzte zu entwickeln, werde teilweise von den Vorgaben erschwert:

  • Ein übergreifender Austausch von KIM-Dienst zu KIM-Dienst „ist erst seit Anfang des Jahres halbwegs möglich“, so Gehlen. Die Interoperabilität der Dienste untereinander werde „im Feldtest überhaupt nicht gefordert“.
  • Auch die qualifizierte Signatur über den Konnektor werde im KIM-Feldtest nicht gefordert. Gehlen: „Die benötigen wir aber bei der eAU!“
  • Bei der Signatur selbst hakt es ebenfalls: Die PDF-Signatur unterliege „gematik-Vorschriften, die nicht dem internationalen Standard entsprechen“, so Gehlen. Die Folge: Alte, elektronisch signierte Arztbriefe würden vom Konnektor als „invaldid document“ klassifiziert.
  • Die angedachte Komfort-Signatur, die es Ärzten ermöglichen soll, mit einer PIN-Eingabe mehrere Dokumente elektronisch zu signieren, „ist ein Witz“, so Gehlen. Wenn der Arzt seinen E-Arztausweis (eHBA) für die Komfortsignatur freigeschaltet hat, so gelte sie nur so lange, bis er das Zimmer verlässt. Wechselt er das Sprechzimmer und will dort ein neues E-Rezept signieren, müsse er den eHBA erneut freischalten – also faktisch doch bei jedem Vorgang eine neue PIN-Eingabe.
  • Auch beim E-Medikationsplan und dem Notfalldatenmanagement hake es. Beide müssen gemacht werden, wenn die Gesundheitskarte, also der Patient mit Passwort in der Praxis ist. „Es kommen so völlig neue Prozesse in den eh schon dichten Praxisablauf hinzu“, beschreibt Gehlen das Problem. Die Stimmung in den Praxen sei „wegen der Pandemie nicht gut und offen für derart neue Dinge“.
  • Es gebe keine Spezifikation dafür, dass der Notfalldatensatz und der Medikationsplan von mobilen Kartenterminals gelesen werden können. Die absurde Folge, so Gehlen: „Beim Hausbesuch und im Krankenwagen kann ich den Datensatz nicht lesen.“
  • Für die Aktualisierung des Notfalldatensatzes seien im EBM vier Punkte beziehungsweise ein Punkt vorgesehen. Dabei ändere sich gerade dieser Datensatz ständig. Diese Honorierung sei aber „kein Geschäftsmodell für den Arzt“.
  • Auch beim eHBA selbst laufe es nicht rund. Derzeit gebe es Lieferzeiten von acht bis zehn Wochen. Die Freischaltung sei so kompliziert, dass die Ärzte sich den Zugang „reihenweise zerschießen, die Hotlines bei den Kartenherausgebern laufen über“.
Die Dinge würden immer weiter getrieben, darüber gehe der Bezug zur Realität verloren: „Das BMG arbeitet an einer Verordnung, in der steht, dass wir bis 1. Oktober 2021 ePA2.0 und E-Rezept umgesetzt haben. Das ist alles illusorisch“, schimpft der Praxis-EDV-Experte. Es gehe vor allem um eines: „Wir müssen die Ärzte ins Boot bekommen. Wir müssen einen Mehrwert schaffen, ansonsten werden wir keine Akzeptanz und keine Nachhaltigkeit haben.“ Am Ende komme es auf die Ärzte an, die Patienten zu motivieren, so fasst Gehlen zusammen. „Aber dazu muss die Basis der Ärzteschaft gewonnen werden nicht die Vorstände von KBV und KVen.“ (ger)

Wir müssen die Ärzte ins Boot bekommen, ansonsten werden wir keine Akzeptanz haben.

Dr. Erich Gehlen, Softwarehaus Duria

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