Kommentar

Sinnloses Schwarzer-Peter-Spiel

Liegt es wirklich an den Ärzten in den Praxen, wenn die medizinischen Anwendungen über die TI nicht ins Laufen kommen? So einfach sollten es sich Vertreter der Selbstverwaltung nicht machen.

Denis NößlerVon Denis Nößler Veröffentlicht:

Wieder einmal sind also Ärzte die Spielverderber bei der Digitalisierung: Weil erst so wenige Mediziner zwischen Flensburg und Freiburg einen elektronischen Heilberufsausweis, einen eHBA haben, drohen ePA, E-Arztbrief, Notfalldatenmanagement und eBMP nicht in die Gänge zu kommen – und das, obwohl sie doch schon jetzt teilweise nutzbar wären.

Glaubt man Dr. Franz Bartmann, liegt’s daran, dass viele Ärzte eHBA-Muffel sind: „Die Kammern könnten viel mehr Ausweise ausgeben, aber die Ärzte beantragen sie nicht“, sagt er. Die Ärztekammern trifft demnach keine Schuld. Die KVen hingegen sollten mehr aufklären, fordert Bartmann. Manche seien offenbar selbst nicht von dem Ausweis überzeugt – „ein Riesenproblem“.

Eine denkwürdige Analyse von jemandem, der viele Jahre als Doyen der Telematik in der verfassten Ärzteschaft galt und nach wie vor in der Telemedizin umtriebig ist. Aber die Analyse greift zu kurz. Und sie bedient das alte Schwarze-Peter-Spiel, mit dem die Ärzteschaft, ja die gesamte Selbstverwaltung im Gesundheitswesen jahrelang bei der Digitalisierung auf der Stelle getreten ist.

Eine große Herzensangelegenheit?

Wäre es Kammern und KVen eine große Herzensangelegenheit gewesen, Ärzte digital anschlussfähig zu machen, hätten sie bessere Wege finden können, ihre Mitglieder mit den eHBA auszustatten: Zum Beispiel hätten sie sie aktiv mit den Ausweisen ausstatten können, anstatt die Beschaffung auf jeden Einzelnen abzuwälzen.
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Wenn am Ende ohnehin jede berufstätige Ärztin, jeder Arzt einen eHBA braucht, ist es gleich, ob die gut 40 Millionen Euro Kosten pro Jahr dafür durch 385 .000 Einzelüberweisungen zustande kommen oder zentral über etwas höhere Kammer- oder KV-Umlagen. Dann aber würden wir nicht sechs Wochen vor dem Start der ePA klagen, dass nicht alle Ärzte sie werden nutzen können.

Wie hast du’s mit der Digitalisierung? Das ist die Gretchenfrage für die Ärzteschaft. Wenn sie das Thema ernst nimmt, dann sollten ihre demokratisch legitimierten Vertreter das Thema mit Verve angehen. Dann sollten sie nicht bei Krankenkassen oder gematik „den Feind“ suchen, sondern die Chancen sehen, das Heft in der Hand zu halten, wenn man aktiv selbst gestaltet.

Aussitzen ist keine Option

Und dann wäre es vordringliche Aufgabe von Kammern und KVen, was ihre Mitglieder mit Recht von ihnen erwarten dürfen: Dass sie sich kümmern und die Verantwortung nicht auf jeden Einzelnen abschieben. Spätestens seit dem Amtsantritt von Jens Spahn könnte eigentlich jeder im Gesundheitswesen verstanden haben, dass Aussitzen keine Option mehr ist.

Und wenn es nicht so traurig wäre, könnte man fast darüber lachen: Die Krankenkassen machen es im Moment nicht besser als die Ärzte: Ihre Versicherten warten auf die PIN für die Gesundheitskarte – fast wie auf Godot. Selbst wenn die Ärzte einen eHBA hätten: Der elektronische Medikationsplan ließe sich nicht auf der Karte speichern. Ein Armutszeugnis für die Selbstverwaltung.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 19.11.202010:18 Uhr

Bis zu den Haarspitzen satt habe ich den Vorwurf, dazu noch aus den eigenen Reihen, wir ÄrztInnen stünden dem elektronischen Heilberufsausweis (eHBA), der elektronischen Patientenakte (ePA), dem elektronischen Arztbrief (eAB), dem Notfalldatenmanagement (NFDM), dem elektronischen bundeseinheitlichen Medikationsplan (eBMP) oder den elektronischen Disease Management Programmen (eDMP) ablehnend gegenüber.

Kollege Ullrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands e. V. präzisiert: „Wir machen Medizin, nicht den IT-Kundenservice für Krankenkassen!“

Unerträglich, dass ständig auf die niedergelassenen Haus- und Fachärzte eingedroschen wird, wir hätten unsere EDV-Hausaufgaben nicht gemacht. Im Gegenteil! Unsere EDV-Anlagen sind zumeist auf dem neuesten Stand, werden durch teure Updates ständig aktualisiert und durch Praxispersonal/Praxisinhaber gewartet.

Ich spreche für viele meiner KollegInnen, die im hausärztlichen Bereich ein Höchstmaß an Digitalisierung und elektronischer Patientenakte in der Praxisdokumentation seit Jahrzehnten (in meiner Praxis seit 1995) implementiert und realisiert haben. Wir sind es, die jederzeit auf Knopfdruck eine komplette medizinische EDV-Dokumentation erstellen, auf beliebigen elektronischen Medien speichern und herausgeben können.

Davon kann bei den Gesetzlichen Krankenkassen der GKV nicht mal ansatzweise die Rede sein: Massenweise papiergestützte Formulare werden umständlich händisch ausgefüllt, gestempelt, eigenhändig unterschrieben und mit "Mütterchen Post" verschickt. Uneingeschränkter EDV-Austausch unter Kolleginnen und Kollegen in Klinik und Praxis wird ohne sachlich-inhaltliche Gründe be- und verhindert.

Die meisten vertragsärztlichen Praxen in Deutschland sind im EDV-Zeitalter mit Kosten von mindestens 500€ mtl. aufgerüstet. Warum kann nicht in Deutschland jede/r selbstbestimmt seine eigenen Daten auf einem persönlichen, Passwort-gesicherten Datenträger seiner Wahl (Kosten unter 10€) speichern?

Mf+kG, Ihr Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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