INTERVIEW

"Klare Kriterien zur Fahruntauglichkeit nötig"

Ob Demenz-Patienten noch fahrtauglich sind, lässt sich kaum anhand von Punkteskalen ablesen. Die Entscheidung muss immer individuell fallen, so Professor Rüdiger Mielke vom Bereich Neurowissenschaften und Rehabilitation der Uni Köln.

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‚‚ Bei einem MMST-Wert unter 22 sind Demenzkranke jedenfalls nicht mehr fahrtauglich." Professor Rüdiger Mielke Bereich Neurowissenschaften und Rehabilitation der Uni Köln.

Ärzte Zeitung: Herr Professor Mielke, in der aktuell publizierten US-Studie waren Patienten mit milder Alzheimer-Demenz noch elf Monate fahrtüchtig. Ist dieser Befund überhaupt praxisrelevant angesichts der Tatsache, dass bei vielen Patienten M. Alzheimer erst in späteren Stadien diagnostiziert wird?

Professor Rüdiger Mielke: Ich denke schon, allein wegen der großen Zahl Betroffener. In Deutschland können wir von etwa einer Million Patienten ausgehen, davon etwa ein Drittel mit leichter Alzheimer-Demenz und davon schätzungsweise 100 000 im beginnenden Demenz-Stadium. Andererseits sind US-Daten nur bedingt auf deutsche Verhältnisse übertragbar. In den USA sind die Straßen breiter, es wird langsamer gefahren, es gibt mehr ländliche Gegenden mit großen Entfernungen, in denen die Menschen sehr auf das Auto angewiesen sind.

Ärzte Zeitung: Sie selbst versuchen ja Kriterien dafür zu entwickeln, ob demenzkranke Menschen noch Auto fahren dürfen oder nicht. Warum nutzt man nicht einfach einen etablierten Schweregrad-Score?

Mielke: Das ist prinzipiell möglich. So ist bei einem Mini-Mental-Status-Test von unter 22 Punkten keine Fahrtauglichkeit mehr gegeben. Aber was ist mit den Menschen, die sich in einer Grauzone bewegen? In der Praxis ist es einfach schwer, Patienten und Angehörige gut zu beraten. Es konkurrieren zwei Rechtsgüter: Schutz der Allgemeinheit und das Recht auf persönliche Bewegungsfreiheit.

Bei der Anwendung eines Scores müsste man aus Sicherheitsgründen einen relativ hohen Punktwert ansetzen, weil sonst die Möglichkeit bestünde, dass jemand Auto fahren würde, der eigentlich fahruntauglich ist. Zugleich würde man vielen, die noch fahrtauglich sind, damit nicht gerecht werden. Klare Kriterien sollen eine individuelle Entscheidung ermöglichen.

Ärzte Zeitung: Welche Warnzeichen kann man denn Angehörigen von Demenzkranken nennen, die auf Probleme bei der Fahrtüchtigkeit hindeuten?

Mielke: Soweit sind wir leider noch nicht. Wir versuchen derzeit, neuropsychologische Variablen zu erarbeiten. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass frontale Hirnstörungen mit der Fahrtauglichkeit interferieren, also im weitesten Sinne Aufmerksamkeitsstörungen. Es werden diejenigen fahruntauglich, die mit den komplexen Anforderungen des Straßenverkehrs nicht mehr zurechtkommen, wenn also die Aufmerksamkeit auf verschiedene externe Faktoren verteilt werden muss. Das können dann teilweise auch Patienten mit einer beginnenden Alzheimer-Demenz nicht mehr. (ner)

Lesen Sie dazu auch: Sicher fahren trotz Alzheimer-Demenz?

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