Silikon-Brüste: Ärzte gehen in die Offensive

Immer neue Details zu den minderwertigen Silikon-Implantaten kommen ans Tageslicht. Allein an der Uniklinik Essen sollen 500 Frauen die Billig-Kissen erhalten haben. Die Kliniken starten eine Info-Offensive, BÄK-Chef Montgomery sieht die Krankenkassen in der Pflicht.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen und Anno FrickeAnno Fricke Veröffentlicht:
Ein Silikon-Implantat wird eingesetzt.

Ein Silikon-Implantat wird eingesetzt.

© Ulrich Perrey / dpa

KÖLN/BERLIN. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) empfiehlt allen Kliniken, die Implantate der Hersteller PIP und Rofil verwandt haben, die betroffenen Frauen vorsichtshalber von sich aus zu informieren. Damit sollen sie der großen Verunsicherung der Patientinnen entgegenwirken.

Hauptgeschäftsführer Georg Baum setzt bei der Klärung der Kostenübernahme der Implantat-Entfernungen auf eine großzügige Lösung: "Wir appellieren an alle Beteiligten, zu einer umsichtigen und patientenorientierten Finanzierung zu kommen", sagt er.

Für die privaten Krankenversicherer (PKV) spielt bei der Entfernung keine Rolle, ob der ursprüngliche Eingriff medizinische Gründe hatte oder ästhetische. "Wenn es sich um gesundheitsgefährdende Produkte handelt, zahlen wir die Entfernung", sagt ein Sprecher des PKV-Verbands.

In der Regel werden die Unternehmen auch den Einsatz eines neuen Kissens übernehmen. "Selbst wenn der ursprüngliche Eingriff kosmetisch war, wird in den meisten Fällen eine Nachbehandlung medizinisch geboten sein."

In Nordrhein-Westfalen haben nach Angaben des Landesgesundheitsministeriums 25 Kliniken und Praxen PIP-Implantate verwandt. Bereits 2010 hatte das Ministerium sie erfasst, um sicherzustellen, dass sie die Warnungen aus Frankreich auch erhalten, sagt ein Ministeriumssprecher.

500 Fälle allein an der Uniklinik Essen

Das Ministerium hat die Einrichtungen gefragt, wie vielen Patientinnen sie Implantate eingesetzt haben, die sich als minderwertig herausgestellt haben. "Den Rücklauf erwarten wir Ende des Monats", sagt er.

Die Universitätsklinik Essen hat nach eigenen Angaben rund 500 Patientinnen solche Silikon-Implantate eingesetzt. Die Klinik hat die Patientinnen angeschrieben und eine spezielle Hotline eingerichtet, die sehr gut angenommen wird.

Die Patientinnen werden aber nicht telefonisch beraten, sagt eine Sprecherin des Uniklinikums. "Alle bekommen einen Termin, damit sie in Ruhe mit den Gynäkologen sprechen können."

Die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) hat bereits alle Kliniken des Landes angeschrieben. Sie sollen überprüfen, ob sie mit PIP oder Rofil zusammengearbeitet haben und dann gegebenenfalls die betroffenen Patientinnen informieren.

Klarheit für die Kliniken

Das hatten die Krankenkassen gefordert. Die KGNW ihrerseits will die Kassen jetzt um Auskunft über Kostenübernahmefragen bitten, kündigt Sprecher Lothar Kratz an. "Wir brauchen Klarheit, auch im Sinne der Patientinnen."

Es dürfe nicht sein, dass die Kliniken in Zweifelsfällen auf den Kosten sitzen bleiben oder versuchen müssen, auf dem Klageweg an ihr Geld zu kommen. Die Entfernung der Implantate und der Austausch kosteten je nach Indikation zwischen 2500 Euro und 4600 Euro.

Schuldzuweisungen an Kliniken, die mit den Implantaten gearbeitet haben, seien unangebracht, sagt Kratz. "Die Produkte waren schließlich zertifiziert."

Außerdem dürfe man die Krankenhäuser nicht ständig zur Kostensenkung auffordern und ihnen dann einen Vorwurf daraus machen, wenn sie sich für kostengünstige Alternativen entscheiden.

Schätzungsweise 2800 bis 5000 Frauen in Deutschland haben ein Implantat der französischen Firma PIP bekommen, äußerte sich Dr. Frank Ulrich Montgomery, Chef der Bundesärztekammer (BÄK), auf der Neujahrspressekonferenz der BÄK in Berlin.

Montgomery sieht medizinische Probleme

Auf die Frage, wer für die Kosten einer Explantation aufkommen solle, verwies Montgomery auf den Paragrafen 52 SGB V. Der regele, dass jemand, der sich nach Schönheitsoperationen korrigierenden Eingriffen unterziehen müsse, angemessen an den Kosten beteiligt werden müsse.

"Jetzt stehen wir vor dem großen Problem, dass sich Menschen durch inadäquate Produkte bei Schönheitsoperationen in einer Art und Weise geschädigt haben, dass das nun einen echten Krankheitswert hat", sagte der BÄK-Präsident in Berlin.

Montgomery: "Und das Problem muss behoben werden. Es muss die Frage gestellt werden, ob man die Regelung des Paragrafen 52 wirklich ziehen kann." Inzwischen seien die PIP-Implantate ein medizinisches Problem, da sie krebsauslösend sein könnten.

In diesem Zusammenhang wies Montgomery darauf hin, dass die Bundesärztekammer schon seit Jahren gegen den Schönheitswahn kämpfe. So versuchte sie zum Beispiel bei den Weiterbildungsqualifikationen für operative Gynäkologen und Gesichtschirurgen Spezialqualifikationen für plastische und ästhetische Operationen zu schaffen.

Lesen Sie dazu auch: Silikon-Brüste: Ärzte gehen in die Offensive Brust-Implantate: Musterland USA Silikon-Brüste - es gibt Alternativen

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Kommentare
Erwin Bader 12.01.201207:12 Uhr

Die Frage nach einer Selbstbeteiligung stellt sich gar nicht

Herr Montgomery stellt die Frage, ob man die Regelung des Paragrafen 52 wirklich ziehen kann.

Der Wortlaut des § 52 Abs. 2 SGB V: "Haben sich Versicherte eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen, hat die Krankenkasse die Versicherten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen ..."

Eindeutiger kann es gar nicht formuliert sein. Wo stellt sich da eine Frage?

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