Rheuma

Bessere Therapie rechnet sich

Bei kaum einer anderen Erkrankungsgruppe hat sich in den vergangenen Jahren die Therapie so stark verändert wie bei den rheumatischen Erkrankungen. Mittlerweile kann der volkswirtschaftliche Effekt der neuen Behandlungen grob abgeschätzt werden, zumindest bei der rheumatoiden Arthritis.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Senior mit Igelball bei der Therapie.

Senior mit Igelball bei der Therapie.

© Robert Kneschke / fotolia.com

BERLIN. Werden Arthrose und Gicht mitgezählt, leiden in Deutschland rund 20 Millionen Menschen an einer rheumatischen Erkrankung. Aber auch wenn man sich auf die entzündlich-rheumatischen Erkrankungen im engeren Sinne beschränkt, die rheumatoide Arthritis, die immunologischen Systemerkrankungen und die diversen Spondylarthropathien, sind es mehrere Millionen.

Bei diesen Zahlen wundert es nicht, dass die rheumatischen Erkrankungen jenseits allen individuellen Leids auch eine erhebliche volkswirtschaftliche Bedeutung haben.

So entfielen laut Statistiken zu AOK-Pflichtmitgliedern ohne Rentner im Jahr 2008 von insgesamt 11 Millionen Arbeitsunfähigkeits-(AU)-Fällen rund 2,2 Millionen auf Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes. Nur Krankheiten des Atmungssystems waren mit knapp drei Millionen Fällen eine häufigere AU-Ursache.

Volkswirtschaftlich informativer ist der Blick auf die AU-Tage. Hier sind die rheumatischen Erkrankungen im AOK-Kollektiv mit knapp 40 Millionen AU-Tagen der einsame Spitzenreiter.

Die Erkrankungen der Atmungsorgane, hinter denen sich vor allem kurze Erkältungen verbergen, kommen in Summe auf nicht einmal 20 Millionen.

Remission ist heute in Reichweite

Nun hat sich in der Rheumatherapie seit der Jahrtausendwende einiges getan. Mit den Biologika wurde ein komplett neues Arzneimittelsegment etabliert, das in keinem Fachgebiet stärkere Umwälzungen zur Folge hatte als in der Rheumatologie.

Im Windschatten der Biologika haben sich die Therapieprinzipien für viele Rheumapatienten geändert. Eine frühe, intensive Therapie, bei der versucht wird, die Krankheitsaktivität unter bestimmte Zielwerte zu drücken, gilt bei immer mehr rheumatischen Erkrankungen als anzustrebender Standard.

Vorreiter war hier die rheumatoide Arthritis (RA), bei der heute versucht wird, innerhalb von wenigen Monaten nach Erstdiagnose eine Remission zu erreichen, meist definiert als ein Disease Activity Score (DAS28) von unter 2,6 Punkten.

Die medizinischen Erfolge der neuen Herangehensweise sind beachtlich, wie Auswertungen der sogenannten Kerndokumentation des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums in Berlin zeigen. So fiel der mittlere DAS28-Wert bei RA-Patienten in Deutschland seit 1997 von damals 4,5 Punkten um rund ein Drittel ab.

Der Anteil der Patienten mit niedriger Krankheitsaktivität, definiert als DAS28 von unter 3,2 Punkten, stieg signifikant von damals 23 auf 49 Prozent zehn Jahre später. Und der Anteil der Patienten mit sechs oder mehr geschwollenen Gelenken ging von 43,1 auf 8,1 Prozent zurück.

Dies alles ging einher mit einer deutlichen Verschiebung hin zu intensiveren Therapien. Der Anteil der mit Biologika behandelten RA-Patienten stieg von null auf 16 Prozent, und der Anteil von Patienten, die Kombinationen traditioneller krankheitsmodifizierender Therapien (DMARD) erhielten, verdreifachte sich auf zuletzt 23 Prozent (Ann Rheum Dis 2010; 69(10):1803-8).

Wie relevant ein Abfall der Krankheitsaktivität ist, zeigen kürzlich vorgelegte Daten des deutschen Biologikaregisters RABBIT (Ann Rheum Dis 2013; elektr. vorveröff. am 29. November 2013).

In dieser Untersuchung, die sich auf 30.000 Patientenjahre bezieht, war die Sterblichkeit bei hoher Krankheitsaktivität mehr als doppelt so hoch wie bei niedriger Krankheitsaktivität. Und sowohl niedrige Sterblichkeit als auch niedrige Krankheitsaktivität korrelierten mit der Einnahme von Biologika.

Weniger Patienten krank geschrieben

Was aber ist mit den finanziellen Auswirkungen des rheumatologischen Paradigmenwechsels? Nun, zum einen sind die direkten Krankheitskosten angestiegen. Sie lagen 2002 für die im Mittel RA bei rund 4700 Euro. Mittlerweile haben sie die 6000-Euro-Marke locker überschritten.

Der Grund dafür sind praktisch ausschließlich gestiegene Arzneimittelkosten, die etwa drei Viertel der direkten Kosten bei der RA ausmachen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit: Im selben Zeitraum sind die indirekten Kosten durch eine Verringerung der temporären und vor allem permanenten AU-Zeiten von rund 10.000 auf gut 8000 Euro gefallen (ACR 2010; Abstract B770).

Die Detailauswertungen sind fast noch eindrucksvoller. So gibt es deutsche Daten aus den 90er Jahren, aus denen hervorgeht, dass es damals bei 76 Prozent der erwerbstätigen RAPatienten im ersten Jahr nach Diagnose zumindest einmal zu einer AU kam.

Aktuelle Daten zeigen, dass derzeit in den ersten zwei Jahren nach Diagnose nur 35 Prozent der Betroffenen zumindest einmal wegen ihrer RA krankgeschrieben werden (GBE Bund Heft 49/2010). Und in der oben zitierten Zehnjahreskohorte der Kerndokumentation ging die Verbesserung der Krankheitsaktivität einher mit einer Verringerung der rheumabedingten AU-Tage von 27,2 auf 8,8 pro Jahr.

Können in der Rheumatologie also die Sektkorken knallen? Eher nicht. Zwar werden heute weniger RA-Patienten krankgeschrieben als früher. Wer allerdings krankgeschrieben wird, der bleibt nach wie vor lange weg, im Mittel 43 Tage.

Und: Bei anderen rheumatischen Erkrankungen konnten die Erfolge bei der RA bisher allenfalls teilweise reproduziert werden. Vor allem die Systemerkrankungen bleiben ein echtes Problem.

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